Ein Urban-Fantasy für Jugendliche und Erwachsene ab ca 12/13 Jahren

erhältlich im Buchhandel und allen Internet Plattformen

als Buch 320 Seiten  für € 12,90  

als E-Book AKTIONSPREIS € 0,99 bis Maximus und der Supergau veröffentlicht wird, danach € 4,99

Ein Roman zum Nachdenken - voller Spannung, Fantasy, Reality, Liebe und Freundschaft

Für meine beiden Lieben

 

Kinder sind Inspiration“

 

 

 

Ich danke meinen beiden Töchtern für Ihre Unterstützung als wissbegierige Leserinnen. Sie haben mich immer wieder inspiriert, an diesen Roman weiter zu schreiben und haben an mich geglaubt. Meine Große, die selbst eine Leseratte ist, gab mir immer wieder wertvolle Tipps. Ohne meine jüngere Tochter, wäre dieser Roman niemals entstanden. Sie bat mich damals als siebenjährige, die Geschichten vom kleinen Vampir aufzuschreiben, die ich ihr immer erzählen musste. Aus diesen Kurzgeschichten entstand dann der Beginn eines Romans und ich tauchte ein in die wunderbare Welt der Fantasie und des Schreibens. In meiner Fantasie war alles real und lief wie ein Film vor mir ab. Es war eine wertvolle Erfahrung, die mein Leben bereichert hat.

 

 

 

 

 

 

 

 

Renate Roy

 

 

 

 

 

 

 

Maximus

 

 

 

und

 

 

 

der Herrscher der

 

 

 

Zwischenwelt

 

 

 

 

 

 

Prolog

 

 

 

Vampire existieren nicht! So ein Kinderkram! Denkst du auch so? Na dann hör mir mal gut zu, ich werde dir jetzt eine Geschichte erzählen die dich in zwei Welten einer noch lebenden Vampirfamilie entführen und fesseln wird. Wo du vieles was so passiert in der Welt plötzlich mit anderen Augen sehen wirst. In der du das Universum plötzlich mit anderen Augen betrachtest und es zwischen Himmel und Hölle nicht nur unsere Welt gibt. Ich rede von einer unvorstellbaren Zwischenwelt, in der Wesen gefangen sind, die nicht einmal der Teufel will. Du hast dich sicher schon mal gefragt, warum immer schlimmere Dinge in der Welt passieren. Naturkatastrophen und Unruhen beherrschen die Tagesschau und überfluten eure unbedarften jungen Seelen mit Gewalt, Terror und Einzelschicksalen. Du willst von mir eine kurze schnelle Antwort darauf? Die kann auch ich dir nicht geben. Doch nicht immer ist alles nur Schicksal und Zufall. Verlass deine reale Welt und tauch mit mir in die Geschichte von Maximus dem jungen Vampir ein. Vielleicht finden wir gemeinsam eine Antwort darauf.

 

 

 

 

 

 

 

 

Die Zwischenwelt

 

 

 

»Brr ist das kalt hier«, waren meine ersten Gedanken, als ich etwas unsanft landete. Ich fühlte die Feuchtigkeit und die Kälte durch alle Poren meines Körpers und sog mühsam die modrige Luft ein. Mein Kopf brummte und schmerzte. Meine Lippen schmeckten die feuchte Erde. Ich lag auf dem Bauch und wagte nicht mich umzudrehen. Wie war ich hergekommen? Es schien alles so unwirklich.

 

»Das Vamuraibuch! Das blaue Licht!«, schoss es mir durch den Kopf. Ich hätte wohl besser das Kaminzimmer meiden sollen. Warum war ich nur immer so neugierig? Papa hatte mich doch vor dem Buch gewarnt. Mein Leben war doch eigentlich perfekt gewesen. Papa hatte in meiner Lehrerin eine neue Frau gefunden und ich würde bald ein Geschwisterchen bekommen. Dank meiner entwickelten Spezialcreme, die uns damals schon vor den Vampirjägern gerettet hatte, führten wir ein fast normales Leben, das sich kaum von dem anderer unterschied. Naja, außer dass wir in einem großen Schloss wohnten, gräflichem Ursprung waren und übermenschliche Kräfte hatten. Und dass sich mein Vater, der Graf Vamus immer noch gerne in seine Gruft zurückzog.

 

Bei diesem Gedanken musste ich schmunzeln und konnte mir selbst in dieser Situation das Grinsen nicht verkneifen. Frau Mairose hatte zwar einiges in unserem Leben verändert, aber alle Marotten meines Vaters konnte auch sie nicht verändern. Ich selber hatte in letzter Zeit viele neue Freunde gewonnen und war eigentlich ein glücklicher Teenager. Was war nur in mich gefahren, die Warnungen meines Vaters zu ignorieren? Er hatte mich noch gewarnt: »Was für die Hexen das Hexenbuch ist, ist für die Vampire das Vamuraibuch. In diesem Buch sind all die Antworten enthalten, die für Vampire wichtig sind. Doch es ist sehr gefährlich, und man muss ganz vorsichtig damit umgehen, weil es lebt und unheimliche Kräfte besitzt.«

 

Ich fand das alles damals ziemlich spannend. Das Vamuraibuch hatte mich von Anfang an in den Bann gezogen. Selbst als es mein Vater geöffnet hatte und ich anfangs etwas enttäuscht war, weil es nur aus leeren Seiten bestand. Mein Vater hatte mir aber erklärt, dass das Buch erst Sätze schreibt und zu einem spricht, wenn man ihm eine Frage stellt. Er hatte mich gleichzeitig vor den Gefahren des Buches gewarnt, und dass man es nur im Notfall verwenden dürfe. Es könne einem auch Schaden zufügen und dazu bringen, in seine Seiten einzutauchen. Dann würde man in einer Zwischenwelt mit gefährlichen Wesen landen. Er erzählte mir außerdem, dass ein Vampir in dieser Zwischenwelt über keine außergewöhnlichen Kräfte verfügen würde.

 

Tja und das schien jetzt der Fall zu sein. Ich fror fürchterlich und hatte Angst. Meine Gedanken schwelgten weiter. Wie konnte ich mich nur dazu hinreißen lassen. Das erste Erlebnis mit dem Vamuraibuch war schon einige Zeit her gewesen, aber es war mir nicht mehr aus dem Sinn gegangen. Immer wieder zog es mich magisch ins Kaminzimmer, doch normalerweise betrachtete ich es immer aus sicherer Entfernung. Bis ich eines Tages die Grenze überschritt.

 

Meine Eltern waren nicht zuhause und wie von unsichtbarer Hand geführt, ging ich ins Kaminzimmer und stand plötzlich ganz nahe neben dem Vamuraibuch. Ich konnte mich der Magie des Buches nicht mehr entziehen. Wie von selbst griff meine Hand in das Regal, wo das Buch lag. Es war so schwer, dass ich es kaum anheben konnte. Ich nahm es, legte es vor den Kamin auf den Boden und betrachtete es zum ersten Mal näher. Seltsame Ornamente zierten den Umschlag und die Blätter waren außen rot gefärbt. Es sah ganz anders aus, als alle Bücher, die ich bisher gesehen hatte. Als es so vor mir lag, konnte ich einfach nicht widerstehen, ich musste es berühren. Meine Hand strich vorsichtig über den dicken Umschlag. Es fühlte sich an wie eine Mischung aus Freude und Leid, Gut und Böse. Es roch alt und modrig. Ich sog gierig an diesem Duft, wie ein Verdurstender an einem Strohhalm. Es machte mich ganz benommen und meine Hand begann leicht zu vibrieren.

 

Doch irgendetwas hielt mich zurück das Buch zu öffnen. Die Warnungen meines Vaters waren tief und fest in meinem Gehirn verankert. Ich wollte schon wieder das Kaminzimmer verlassen, als aus der Seite des Buches ein Hauch blauen Rauches entwich. Es war als wollte das Buch mit mir Kontakt aufnehmen. Gebannt starrte ich den Rauch an, der sich sogleich wieder verzogen hatte. Zurück blieb ein süßlicher, unwiderstehlicher Geruch, der mich an frisches Blut erinnerte. Genüsslich strich meine Zunge über meine Lippen und meine Vampirzähne fingen leicht an zu zittern. Aber nicht dass ihr jetzt denkt, ich wäre ein blutrünstiger Vampir. Ganz im Gegenteil. Ich hatte mich bisher nur von Tier Blut und Beuteln aus der Blutbank ernährt. Seit ich mit der Spezialcreme eins geworden war, schmeckte mir auch normales Essen. Diese Creme hatte nicht nur unser Leben verändert, sondern sie hatte uns zu Halbmenschen gemacht, weil wir jetzt tagsüber existieren konnten. Meine Gedanken wanderten zurück zum Vamuraibuch. Nachdenklich starrte ich es an und berührte es erneut. Doch etwas hielt mich immer noch davon ab, das Buch zu öffnen. Ich wollte meine Hand schon zurück ziehen, doch irgendwie klebte sie jetzt am Einband fest. Es war, als ob sich das Buch weigern würde, mich wieder gehen zu lassen. Ich dachte ich träume und schüttelte ungläubig den Kopf.

 

»Was willst du von mir? Lass mich gehen! «

 

Dabei versuchte ich mit der anderen Hand die klebende Hand wegzuziehen. Doch es half nichts, das alte Vamuraibuch blieb stur und ließ es nicht zu. Ich fasste neuen Mut, nahm stattdessen die andere Hand um das Buch zu öffnen. Das hätte ich wohl besser lassen sollen, denn ich spürte so etwas wie einen Stromschlag durch meinen Arm und dieser wurde plötzlich ganz schwer und heiss. Anschließend durchfloss mich ein angenehmer Schauer, der sich sogleich in meinen ganzen Körper verteilte. Ein letzter Versuch den Arm zurückziehen scheiterte. Wie von einer unsichtbaren Kraft geleitet, schlug der Deckel des Vamuraibuches plötzlich von alleine auf und das Buch lag geöffnet vor mir. Sanfter blauer Rauch stieg langsam aus dem Buch empor und weil ich den Kopf nach unten gebeugt hatte, stieg mir erneut der süßliche blaue Rauch direkt in die Nase hinein. Hastig und gierig sog ich daran. Ich konnte nicht genug davon bekommen und es machte mich ganz benommen. Noch bevor ich mir über dieses blaue Licht und den Geruch Gedanken machen konnte, begann das Buch plötzlich mit mir zu sprechen: »Ich habe dich erwartet Maximus! Ich warte seit dem Tag an dem du mich zum ersten Mal gesehen hast darauf, dass du mich öffnest! Was willst du wissen?«

 

Vor Schreck ließ ich den Deckel los, wollte dabei gleichzeitig aufspringen und einen Satz zurück machen, verlor aber mein Gleichgewicht. Ich fiel rücklings um und knallte mit dem Kopf gegen die Couch. Es gab einen dumpfen Schlag und ich hielt mir schmerzerfüllt den Kopf.

 

»Das gibt es doch gar nicht«, murmelte ich mehr zu mir selbst, »wie kann ein Buch zu mir sprechen?«

 

Wieder schüttelte ich ungläubig meinen Kopf und starrte erneut das Buch an. Was hatte mir mein Vater letztes Mal gesagt?

 

»Das Buch lebt!«

 

Aber dass es auch noch mit mir sprechen würde, darauf war ich einfach nicht vorbereitet gewesen. Ich krabbelte vorsichtig auf allen Vieren zurück zum Buch und sog erneut gierig den süßlichen Duft des blauen Rauches ein. Ich konnte einfach nicht genug davon bekommen und wurde erneut ganz benommen davon. Wie in Trance begann ich schließlich mit dem Buch zu sprechen. »Ich, ich möchte gern«, stammelte ich noch etwas unbeholfen, fasste dann aber meinen ganzen Mut zusammen. »Die Zwischenwelt, was ist das denn genau? Kannst du sie mir bitte zeigen?«

 

Der blaue Rauch reagierte bei dem Wort Zwischenwelt, als hätte er auf diese Frage gewartet und wurde immer heftiger. Ein kalter Schauer durchzog mich und erneut hatte ich das Gefühl fliehen zu müssen. Doch als ich aufspringen und flüchten wollte, bemerkte ich, wie gelähmt ich war. Ich konnte mich nicht mehr von der Stelle bewegen. Gebannt starrte ich auf den blauen Rauch und musste tatenlos zusehen, wie dieser immer heftiger wurde.

 

Dann entwickelte sich aus dem blauen Rauch plötzlich ein sich immer schneller drehendes und immer größer werdendes blaues Loch, das versuchte mich hineinzuziehen. Kraftvoll stemmte ich mich dagegen.

 

»Nein«, versuchte ich es nochmal mit letzter Kraft und hielt mich verkrampft mit der einen Hand am Boden fest. Mit der anderen Hand ergriff ich panisch ein Stuhlbein. Doch diese unheimliche Kraft zog unaufhaltsam an mir. Ein letzter Versuch.

 

»Ich möchte nicht in diese Zwischenwelt! Ich wollte nur wissen, was sie ist«, probierte ich das Vamuraibuch zu beschwören und zu besänftigen.

 

Einen Augenblick schien es, als ob der blaue Rauch zögern und sich anders besinnen würde. Doch dann machte sich eine angenehme Wärme in mir breit. Der süßliche Duft betörte mich erneut und machte mich schließlich willenlos. Meine verkrampften Hände gaben nach und ich ließ los. All mein Widerstand war jetzt verflogen und ich fühlte mich plötzlich leicht wie eine Feder. So bemerkte ich erst gar nicht, dass das Buch begann mich aufzusaugen. Der Sog wurde immer heftiger und mein mittlerweile willenloser gebeutelter Körper, wurde wie von einem Staubsauger aufgesogen. Schwindel erfasste mich und bis ich mich versah, verlor ich das Bewusstsein. Das blaue Licht transportierte mich weit weg in diese andere Welt und ich erwachte in diesem düsteren, unheimlichen und kalten Wald.

 

Mittlerweile hatte ich mich umgedreht, lag auf dem Rücken und starrte auf die düsteren Bäume über mir. Sie bewegten ihre Äste im Wind, als würden sie nach mir greifen wollen und ächzten, als würden sie mich auslachen. Ich bereute, dass ich die Warnungen meines Vaters vor Neugier ignoriert hatte.

 

Das hatte ich jetzt davon. Mutterseelen allein in dieser düsteren Zwischenwelt, fror ich zum ersten Mal in meinem Leben und machte mir vor lauter Angst fast in die Hose. Schützend umklammerte ich mit den Armen meinen kalten Körper und dachte über mein Leben nach. Was würde mich hier erwarten? Konnte ich irgendwann wieder heim zu meiner Familie? Würde ich jetzt überhaupt noch mein Geschwisterchen kennenlernen, das bald geboren wird?

 

Verzweifelt blickte ich mich erneut um. Nichts als diese grässlichen Bäume. Ich fühlte mich hilflos und kraftlos und meine Augen blickten müde und angsterfüllt umher. Normalerweise konnte ich mit diesen Augen sehr weit sehen, doch hier in dieser Zwischenwelt nur ein paar Meter. Meine Ohren lauschten den Geräuschen im Wald, doch außer dem Ächzen der Bäume, war es hier still. Keine Tiergeräusche – gar nichts.

 

Ich hörte mein Vampirherz bis zum Hals schlagen und war überwältigt von meinen eigenen Gefühlsausbrüchen. So etwas kannte ich bisher nicht. Es musste wohl an dieser Zwischenwelt liegen.

 

War ich hier ein normaler Mensch? Fühlen richtige Menschen immer so?

 

Ich war verwirrt und fühlte mich in dieser Welt einfach nur hilflos und kraftlos. Ich war zum ersten Mal in meinem Leben einsam und verlassen. Die Angst schnürte mir den Hals zu. Panisch rang ich nach Luft und sog die modrige und feuchte Luft des Waldes ein. Plötzlich zuckte mein ganzer Körper zusammen.

 

War da nicht doch ein Geräusch? Ein Hitzewall traf meinen Körper unverhofft und erste Schweißperlen bildeten sich auf meiner Stirn. Panisch blickten meine Augen umher, doch niemand war zu sehen.

 

»Ich muss hier raus, hilft mir denn keiner! Papa wo bist du?«, wimmerte ich hilflos vor mich hin. Und zu mir selbst: »Reiß dich zusammen du Jammerlappen!« Angst vor der Ungewissheit machte sich erneut in mir breit. Und nichts als diese grässlichen Bäume um mich herum. Ich überlegte noch kurz, ob ich die Nacht hier verbringen und erst bei Tageslicht weiterziehen sollte. Doch angesichts des unheimlichen Ortes verwarf ich den Gedanken sofort wieder.

 

»Reiß dich endlich zusammen«, schellte ich mich erneut selber, »ich bin doch schließlich ein Vampir. Vor was soll ein Vampir denn Angst haben?«

 

Das stärkte mein Selbstvertrauen – schließlich war ich immer noch ein Wesen der Nacht. Warum also sollte ich in der Nacht in einem Wald Angst haben. Doch irgendetwas stimmte hier nicht. Mein Blick – er war wirklich nicht normal hier. Ich konnte in der Dunkelheit kaum etwas sehen und das machte mir erneut Angst. »Das kann nicht sein, ich bilde mir das alles nur ein.« Ich machte einfach kurz die Augen zu und wollte alles um mich herum wegzaubern. Das war bestimmt nur ein Traum. So, das müsste genügen. Langsam öffnete ich ein Auge nach dem anderen. Doch nichts hatte sich verändert. Immer noch dieser düstere muffelige Wald. Resignation machte sich in mir breit.

 

In welche Richtung sollte ich denn jetzt gehen?

 

Ich wünschte mich zurück in das Kaminzimmer, zurück zu meinen Eltern. Ich vermisste sie bereits jetzt.

 

Was hatte ich nur getan? Sie machten sich bestimmt Sorgen. Warum hatte ich nur nicht auf Papa gehört? Doch es half alles nichts, ich musste irgendwie alleine aus diesem Wald raus kommen. Vielleicht solle ich mich ja einfach in eine Fledermaus verwandeln.

 

Ich wollte es gerade tun, musste jedoch feststellen, dass nicht einmal das hier funktionierte.

 

»So ein Mist«, grummelte ich jetzt missmutig. Ich würde also als ein normal sehender Mensch, diese Welt erkunden müssen und fühlte mich plötzlich verletzlich. Müde und hoffnungslos machte ich mich auf den Weg. Nach einiger Zeit wurde der Wald lichter und die Sterne spenden mehr Licht. Als der Wald zu Ende war, kam ich an ein Feld. Doch das war kein normales Feld. Es wuchs nichts auf diesem Feld, zumindest nichts Fruchtbares. Und dann fielen mir beinahe die Augen raus. Auf dem Feld ragten Holzpfähle heraus. Und auf diesen Pfählen waren Köpfe aufgespießt, die mich jetzt auch noch anschrien:. »Rette uns! Rette uns!« Mein ganzer Körper zuckte zusammen und ich erschauderte. Wie konnten Köpfe ohne Körper reden und was wollten sie von mir?

 

»Redet ihr Köpfe mit mir? Was wollt ihr? Das gibt es doch gar nicht!«

 

Dabei stöhnte ich laut auf und stolperte vor Angst und Erregung über eine Wurzel, die auf dem Weg lag. Ich landete mit einem Satz auf dem Bauch und wagte zuerst nicht aufzublicken. Ein eiskalter Schauer lief mir über den Rücken. Ganz langsam hob ich den Kopf und rappelte mich auf. Mein Blick fiel erneut auf die Köpfe, die auf den Pfählen aufgespießt waren. Es waren hunderte – nein tausende. Soweit das Auge reichte. Es war unglaublich. Die Köpfe sahen fürchterlich aus und ein Geruch von faulem Fleisch stieg mir in die Nase. Ich rümpfte angewidert die Nase, als die Köpfe erneut riefen: »Rette uns! Rette uns!«

 

Ich blickte mich um und suchte nach etwas, wovor ich die Köpfe retten sollte, doch ich sah nichts anderes als diese schrecklichen Felder. Etwas mutiger geworden, ging ich zu einer Gruppe von Köpfen und fragte sie neugierig: »Vor wem oder was soll ich euch denn retten? Es ist doch niemand anderes da. Und überhaupt, ihr seid doch schon alle tot, ihr habt doch keine Körper mehr und kein Herz!«

 

Dabei schüttelte ich angewidert meinen Kopf. »Wer macht denn so etwas Schreckliches, Köpfe abtrennen und dann auf Pfähle stecken?“

 

Redeten die Köpfe wirklich mit mir, oder bildete ich mir das nur ein? Das war doch alles unmöglich.

 

Erneut schüttelte ich meinen Kopf, als wollte ich meine Gedanken ordnen. Die Köpfe schienen meinen Zweifel zu bemerken und redeten jetzt alle wirr durcheinander. »Der Herrscher«, »Ein schlimmer Fluch«, »Böse Gräueltaten«, »Die Welt wird vernichtet.«

 

Das war mir jetzt doch zu viel und ich hielt mir die Ohren zu. Darauf war ich nicht vorbereitet gewesen. Ohne nochmals umzublicken, rannte ich entsetzt an ihnen vorbei. Ich lief und lief, vorbei an vielen Feldern, die ich jetzt einfach ignorierte. Ich wollte nur noch weg von diesem grauenhaften Ort, raus aus der Zwischenwelt. »Warum hilft mir keiner?«, wimmerte ich verzweifelt. Dann waren die Stimmen der Felder verschwunden.

 

 

 

Mittlerweile waren Graf Vamus und die Gräfin wieder in das Schloss zurückgekommen und suchten ihren Sohn überall.

 

»Wo kann er denn nur sein? Er muss doch hier sein!«, meinte die Gräfin zu ihrem Mann.

 

Sie machte sich große Sorgen. Es war ja gleich Essenszeit und das ließ Maximus eigentlich nie aus.

 

»Es wird ihm schon nichts passiert sein«, versuchte Graf Vamus die Gräfin zu beruhigen, »er ist ja wirklich alt genug um auf sich selber aufzupassen!«

 

Im Kaminzimmer angekommen, stockte ihm plötzlich der Atem. Er hatte auf dem Boden das Vamuraibuch entdeckt. Es war geöffnet und ein Strahl sanften blauen Rauches strömte heraus.

 

Hatte Maximus etwa das Buch benutzt?

 

Still und nachdenklich betrachtete er es.

 

»Maximus wo bist du?«, brüllte Graf Vamus durch das Schloss. Keine Antwort, es blieb still. Der Graf durchsuchte das ganze Schloss nach Maximus. Wieder im Kaminzimmer angekommen, dämmerte es ihm plötzlich. »Er wird doch nicht!«, murmelte der Graf und betrachtete das Vamuraibuch erneut. Dann fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Maximus war womöglich mit Hilfe des Buches in die Zwischenwelt gelangt. Jetzt musste er besonders besonnen handeln, denn sein Sohn war in großer Gefahr. Er durfte das Buch auf keinen Fall zuschlagen. Maximus wäre sonst für immer und ewig in der Zwischenwelt gefangen. Und was das bedeuten würde, war Graf Vamus klar. Er erinnerte sich an die Zeit, in der er hilflos dem Herrscher der Zwischenwelt ausgesetzt war. Er wusste, dass es dem jungen Vampir nicht alleine gelingen würde, den Klauen des Buches zu entkommen. Der Herrscher der Zwischenwelt würde sich des kleinen Vampirs bedienen und ihn für seine Machenschaften ausnutzen. Er wagte nicht, den Gedanken weiter zu spinnen und es sich näher auszumalen. Alleine die Bekanntschaft mit diesen bösen Wesen machen zu müssen, würde für seinen Sohn eine schlimme, grausame Erfahrung werden.

 

»Was soll ich denn nur tun?« rätselte Graf Vamus, »ich kann doch die Gräfin jetzt nicht alleine lassen und mich auf solch ein gefährliches Abenteuer einlassen. Maximus muss eine Weile in der Zwischenwelt alleine klarkommen. Ich kann ihm dieses Mal nicht sofort helfen.«

 

Er seufzte laut auf. In diesem Moment, kam die Gräfin außer Atem ins Kaminzimmer gelaufen und fand ihren Mann kauernd vor dem Vamuraibuch. Er wirkte auf sie völlig hilflos und verzweifelt. So hatte sie ihren Mann bisher noch nie erlebt.

 

»Was ist denn los, was ist passiert?«, fragte sie ihn.

 

»Siehst du dieses offene Buch da?«, meinte er auf das Vamuraibuch deutend, »dies ist das Vamuraibuch. Es ist der Schlüssel zur Zwischenwelt. Maximus befindet sich jetzt in der Zwischenwelt und muss mit den Kreaturen dieser Welt kämpfen. Wir sind zwar auch Wesen der Zwischenwelt, müssen aber nicht in ihr leben. In dieser Zwischenwelt leben alle, die aus der Welt verbannt wurden. Sie sind der Abschaum der Welt. Nicht einmal die Hölle will diese Kreaturen. Erst wenn sich diese Wesen in der Zwischenwelt verdient gemacht haben, dürfen sie in die Hölle. Das Leben dort ist grausam. Du kannst dir das gar nicht vorstellen. Nur ein paar dieser Kreaturen auf der Erde und sie würden alle Menschen, die sich nicht wehren können und zu den Mitläufern gehören, in ihren Bann ziehen. Die Welt würde immer schlechter und grausamer werden.«

 

Seine Stimme wurde dabei immer leiser. Der Graf erzählte seiner Frau von seinen eigenen Erfahrungen in der Zwischenwelt und wie ihn damals sein Vater gerade noch gerettet hatte. Er war für ihn selber sehr knapp gewesen, doch sein Vater wurde vom Herrscher getötet. Das glaubte zu mindestens Graf Vamus. Vielleicht wurde aus ihm deshalb kein böser blutrünstiger Vampir und er wollte nie wieder in diese Zwischenwelt zurück kehren. Damals beschloss er ein guter Vampir zu werden. Doch jetzt musste wohl er nochmal diese Welt betreten, um seinen Sohn zu retten. Maximus würde sonst für immer und ewig in dieser Welt gefangen sein. Nur er konnte ihn retten und durch den blauen Tunnel mit ihm entfliehen. Doch das würde für Graf Vamus bedeuten, dass er seine Frau und sein bald geborenes Kind verlassen müsste. Im Moment unmöglich. Maximus musste eine Weile alleine klarkommen. Dass das Maximus allerdings prägen und verändern würde, war ihm auch klar. Er wurde abrupt aus seinen Gedanken gerissen. Gräfin Vamus war das plötzlich alles zu viel. »Auf was wartest du? Du musst ihn sofort retten«, schrie sie auf einmal völlig hysterisch und rüttelte wie wild am Arm ihres Mannes.

 

»Das geht so nicht«, meinte Graf Vamus sanft und nahm ihre Hand in die seine und legte die andere auf ihr Bäuchlein. »Ich kann dich doch in diesem Zustand nicht alleine lassen. Wir müssen erst abwarten, bis das Baby da ist und es dir besser geht. Es ist sehr riskant in diese Welt einzutauchen. Ich kann dir nicht garantieren, dass ich wirklich mit Maximus zurückkommen werde. Ich kann nur hoffen, dass es mir gelingt.«

 

Die Verzweiflung war aus seinen Worten heraus zuhören. Er ließ seine Frau los, nahm das Vamuraibuch vorsichtig in die Hände und legte es auf den Tisch.

 

»Sei mutig Maximus«, rief er in das Buch hinein, »ich werde bald kommen und dich retten!«

 

 

 

 

 

War da nicht erneut die Stimme von Papa? Hatte er nicht gerade gesagt, dass ich mutig sein soll und dass er bald kommen würde, um mich zu retten? Wieso konnte ich ihn hören?

 

»Papa, hilf mir – ich hab fürchterliche Angst! Hörst du mich?«. Doch niemand antwortete.

 

Ich konnte nicht ahnen, dass Papa gerade in diesem Moment mit meiner Mama aus dem Kaminzimmer gegangen war. So hatte er mein Flehen nicht mehr gehört. Ich schöpfte trotzdem neue Hoffnung. Meine Familie konnte also mit mir durch das Vamuraibuch Kontakt aufnehmen. Sie wussten es nur noch nicht. Irgendwann würde ich wieder bei meiner Familie sein. Papa würde mich bestimmt bald retten. Ich konnte in dieser Situation auch nicht verlangen, dass mein Papa mir jetzt half, denn Mama war kurz vor der Niederkunft und brauchte ihn. Es war schon schlimm genug, dass ich ihnen vor lauter Neugier solche Probleme machte. Ich musste mich eben selber durch dieses Schlamassel kämpfen – ich würde das schaffen!

 

Die Kraft der Gedanken machte mich etwas mutiger und ich kam mir dabei gleich ein bisschen älter und größer vor. Was sich aber dann gleich wieder ins Gegenteil umwandelte, als ich eine riesige Staubwolke auf mich zukommen sah. Ich spürte es in meinem Gesicht, als würde ein eisiger Wind auf mich zukommen. Ich begann innerlich zu frieren, machte vor lauter Schreck einen Satz zur Seite und erblickte einen Busch, der genau richtig war als Versteck. Kauernd legte ich mich hinter diesen und machte die Augen zu. Ich hoffte einfach, wenn ich niemanden sehen würde, dann würde man mich auch keiner sehen. Da kam wohl das Kind in mir wieder durch. So lag ich also ausgestreckt mit geschlossenen Augen am Boden und lauschte den herannahenden Geräuschen. Diese wurden immer lauter und plötzlich hörte ich ein ohrenbetäubendes Trampeln und wirre Schreie in meinen Ohren. Mein Kopf begann zu vibrieren und ich presste mich noch stärker gegen den Boden und versuchte so unsichtbar zu werden. Ich hoffte einfach, dass das Unheil dann an mir vorbeiziehen würde. Abrupt hörte das Trampeln neben meinem Busch auf. Tiere schnaubten laut und Gestalten redeten wild durcheinander.

 

Ich hob vorsichtig meinen Kopf etwas an, machte meine Augen einen kleinen Spalt auf und spähte blinzelnd durch den Busch. Meine Augen trafen auf ein anderes Augenpaar, das gerade den Busch auseinander geschoben hatte und mich anstarrte. Ich wollte mich wieder ducken, doch es war schon zu spät. Sie hatten mich entdeckt.

 

»Da ist er«, rief derjenige, der mich entdeckt hatte, »schnappt ihn euch!«

 

Plötzlich war ich von mehreren merkwürdigen Pferden mit seltsamen Köpfen umzingelt. Auf den Pferden saßen ganz eklige Kreaturen. Sie hatten eine Art Panzer um sich herum und stießen merkwürdige, unheimliche Geräusche aus. Noch bevor ich einen klaren Gedanken fassen konnte und etwas sagen konnte, fühlte ich plötzlich einen Schlag auf den Kopf und war bewusstlos. Ich wachte erst wieder in einem dunklen, modrigen Verlies auf. Mein Kopf brummte und der merkwürdige Gestank um mich herum machte mich erneut schläfrig. Irgendwie erinnerte mich dieser Geruch an den muffigen Keller im Vamuraischloss.

 

Ich fühlte mich noch ganz benommen, als mich plötzlich zwei der Kreaturen packten und in einen großen Saal schleppten. Dadurch wurde ich hellwach und schimpfte: »Hey ihr Rüpel. Lasst mich los. Was seid ihr nur für Grobiane. Und wie ihr eklig stinkt!« Ich rümpfte dabei angewidert meine Nase und verzog das Gesicht.

 

»Halts Maul«, meinte da der eine, ließ mich brutal auf den Boden fallen. Dann hob er mich wieder auf und packte mich fest am Arm.

 

»Kannst selber laufen du komischer Vogel«, meinte der andere und packte mich am anderen Arm.

 

Ich spürte die brutalen Griffe der beiden und blickte schmerzerfüllt um mich. Stehend konnte ich mich jetzt etwas genauer umschauen. Der große Saal sah fast so aus, wie der Palast eines Königs, doch nicht prachtvoll, sondern grau und düster. Überall roch es modrig, als ob etwas verwesen würde. Es war ein unheimlicher Ort. Am anderen Ende des Saals waren Thronstühle, die sich mächtig aus dem Boden erhoben. Vor dem größten blieben die zwei Kreaturen stehen und warfen mich zu Boden. Als ich mich aufrappelte sah ich in ein Gesicht, das zwar Menschenähnlich aussah, aber durch und durch voller Warzen und gelben Eiterherden bedeckt war. So ein ekliger Kerl. Das musste der Herrscher der Zwischenwelt sein. Ich rümpfte von dem Gestank die Nase. So eklig hatte ich mir den Herrscher nicht vorgestellt. Auf den anderen Thronstuhl saß eine Frau mit Hakennase, wirrem Haar und Warzen im Gesicht. Das musste wohl die Frau des Herrschers sein, die wie eine Hexe aussah. Mein Blick wanderte zwischen die beiden. Ein kleiner zierlicher Stuhl, der irgendwie freundlicher und heller schien. Ich rieb mir die Augen, weil ich zuerst an eine Sinnestäuschung dachte. Doch dann sah ich in die wasserblauen sanften Augen eines wunderhübschen, blonden Mädchens. Sie sah aus wie eine kleine Elfe, eine richtige Prinzessin. Ich rieb mir erneut Augen, dabei dachte ich laut: »Wie kann denn so ein nettes Wesen nur in diese Zwischenwelt kommen?«

 

Dann wurde ich abrupt aus meinen Träumen gerissen. Das Mädchen schaute mich mit großen sanften Augen zugleich freundlich, aber auch skeptisch an. Mir stockte der Atem und ich zuckte heftig zusammen als mich der Herrscher erbost anfuhr: »Halt´s Maul du Nichtsnutz. Meine Tochter ist für dich tabu du Blutfresser. Was willst du hier? Du bist doch ein Vampir, oder? Ihr Vampire habt in dieser Welt nichts zu suchen. Vampire sind dazu verdammt, in der richtigen Welt zu leben. Als Strafe für dieses Eindringen wirst du mir für immer und ewig dienen müssen. Du wirst in dieser grausamen Welt dem ganzen Abschaum dienen müssen und dir noch wünschen, du hättest niemals den Wunsch gehabt diese Welt zu erkunden!«

 

Die laute feste Stimme des Herrschers hallte durch den ganzen Saal. Ich erschauderte erneut. Dieser Typ würde mir hier die Hölle heiß machen, soviel war klar. Er schien Vampire nicht besonders zu mögen. Aber dennoch überkam mich ein wohliges Gefühl. Ich ignorierte einfach den bösen Herrscher und schaute die ganze Zeit dieses bezaubernde Wesen an. Darüber wurde der Herrscher jetzt erst richtig sauer. Er lud eine Schimpfkanonade auf mich ab. Doch ich hörte sein Fluchen nicht mehr. Ich war wie verzaubert von diesem elfenhaften Wesen. Meine Gedanken waren ganz wo anders. Dieses Mädchen passte nicht in diese Welt. Wie war sie nur dorthin gekommen?

 

Ich spürte den verzückten Blick des Mädchens und senkte verlegen den Blick. Es lag Magie und Zauber in der Luft und ich vergaß die missliche Situation, in der ich mich befand. Als ich den Blick wieder schüchtern hob, bemerkte ich, dass auch das Mädchen vor sich hin träumte. Sie sah einfach zauberhaft aus und passte wirklich nicht hier her. Ich konnte ja nicht wissen, dass dieses Mädchen das einzige Wesen in der Zwischenwelt war, das hier nicht her gehörte. Als ihr Vater und ihre Mutter in diese Zwischenwelt verdammt wurden, war ihre Mutter bereits mit ihr schwanger. Dies war jedoch unbemerkt geblieben, ansonsten hätte ihre Mutter dort niemals mit ihr eindringen dürfen. Das war auch der Grund, warum dieser Familie der Zugang zur Hölle versperrt blieb und der Herrscher so die Möglichkeit hatte in dieser Zwischenwelt sein Reich aufzubauen. Das Mädchen war das einzige Wesen, das hier jemals geboren wurde und zugleich der einzig gute Mensch. Sie passte nicht in diese Welt. Doch sie hatte hier auch ihre eigene Welt, denn der liebe Gott hielt schützend die Hand über dieses unschuldige Mädchen. In ihrer Welt gab es eine traumhafte Wiese mit den schönsten Blumen die man sich vorstellen kann. Das Böse dieser Welt bemerkte dieses Mädchen nicht und alles sah freundlich aus, inklusive ihrer Eltern. Sie nahm den Rest der Zwischenwelt nicht wahr, der aus bösen Kreaturen, schlechten Menschen und Tieren bestand, die es nicht einmal verdient hatten in der Hölle, im Fegefeuer verbrannt zu werden. All diese Wesen würden erst alle Qualen in dieser Zwischenwelt erleben müssen, um dann in der Hölle Einlass zu finden. Doch die wenigsten schafften es aus dieser Zwischenwelt zu entkommen. Dies war nämlich nur möglich, wenn sie es schafften, in dieser Welt eine gute Tat zu vollbringen. Das jedoch vermochte der Herrscher fast immer zu verhindern. Nachdem hier jeder gegen jeden kämpfte und jeder nur auf sein eigenes Wohl bedacht war, war dies fast ein unmögliches Unterfangen. Und diejenigen die es dennoch versuchten, wurden vom Herrscher kaltblütig geköpft und wurden so zu seiner wartenden Armee.

 

»Du mieser kleiner Vampir, hör auf meine Tochter so anzustarren!«, fuhr mich der Herrscher an und riss mich so erneut aus meinen Träumen.

 

Der Herrscher war Realität und leise begann sich das Übel, das hier auf mich wartete, in mir auszubreiten. Ich musste versuchen gut Freund mit dem bösen Herrscher zu werden, damit ich ihn umstimmen konnte, mich wieder gehen zu lassen.

 

»Lieber Herrscher, ich komme als Freund, lassen Sie mich bitte wieder gehen! Es war nur ein Versehen, dass ich hier gelandet bin, es war dieses doofe Vamuraibuch. Ich kann doch nichts dafür und ich bin viel zu jung um hier zu bleiben!«

 

Der Herrscher schaute mich mürrisch an und schüttelte energisch seinen Kopf. »Nichts da mein Freund, du bleibst hier und wirst für mich arbeiten!«

 

Er blieb hart und unbarmherzig. War er doch froh um jede Hilfe für sein Vorhaben, da kam ich ihm gerade recht. »Du wirst es niemals schaffen, aus dieser Zwischenwelt wieder heil herauszukommen. Besser du gewöhnst dich gleich an diesen Gedanken«, meinte der Herrscher, sah mich dabei mit einem grimmigen Blick an und fing laut an zu lachen.

 

»Du wirst dir noch wünschen, du hättest diesen Wunsch hier her zukommen niemals ausgesprochen! Hö Hö!«

 

Doch plötzlich zuckte er innerlich zusammen und wirkte sehr nachdenklich. Ihm war eingefallen, dass es vor Jahren schon einmal einen Vampir gegeben hatte, der den Weg nach draußen wieder gefunden hatte. Sah ihm dieser Knabe nicht sogar etwas ähnlich? Dieser Vampir hatte ihm damals ganz schön die Hölle heiß gemacht. Er war froh gewesen, als er ihn wieder los wurde. Aber wer weiß, dieser junge Vampir konnte ihm vielleicht ganz nützlich sein. Er konnte ihm dabei helfen, seinen Plan die Welt zu erobern, ein bisschen schneller zu realisieren.

 

Mit hasserfüllten Augen durchbohrte er mich jetzt mit seinem Blick. Mir wurde es richtig übel, hatte Mühe beim Schlucken und bekam einen Klos im Hals. Der Herrscher stand plötzlich auf und kam auf mich zu. Erschrocken machte ich einen Satz zurück und stolperte dabei rücklings.

 

»Bleib sofort stehen du Nichtsnutz!«, brüllte er mich erneut an und stellte sich breitbeinig vor mich.

 

Ich lag wie eine hilflose Schildkröte auf dem Rücken vor ihm und starrte ihn ängstlich an. Diese ängstliche Haltung machte den Herrscher allerdings noch domininanter und wütender.

 

»Verdammter nichtsnutziger Vampir. Du wirst mir dienen und in die Kammer der Geköpften gehen und die abgetrennten Köpfe einsammeln. Dann wirst du diese auf die Pfähle in einem Feld deiner Wahl stecken!«, befahl er mir, packte mich am Genick und hob mich hoch. Dann zog er mich an sein ekliges stinkendes Gesicht heran. Ich konnte seinen üblen Atem riechen, musste würgen und verzog angewidert das Gesicht. »Damit wirst du die nächste Zeit beschäftigt sein«, grunzte der Herrscher laut und mit einem Blick auf seine Tochter gerichtet: »Lass ja die Pfoten von meiner Tochter, sonst wirst du es bereuen.« Dabei lachte er laut auf und sein Lachen ließ mich erneut erschaudern. Es klang einfach grausam.

 

Ich sollte also in eine Kammer gehen, in der die Köpfe herkommen, die ich auf den Pfählen auf den Feldern gesehen hatte. Woher kamen denn diese Köpfe? Vor lauter Angst verschlug es mir die Sprache. Ich wollte eigentlich den Herrscher danach fragen, brachte aber keinen Laut heraus.

 

»Was stehst du denn so dumm da, mach dich endlich auf die Socken, sonst gibt es kein Abendessen! Nur wer hier arbeitet bekommt etwas zu essen!«, grollte der Herrscher erneut und ließ mich los. Angewurzelt blieb ich vor ihm stehen.

 

Dann befahl er seinen beiden zwei Kreaturen mich abzuführen. Sie brachten mich in einen großen Saal, indem viele Köpfe lagerten.

 

»Wo bin ich hier? Woher kommen denn die ganzen Köpfe?«, fragte ich meine beiden Bewacher und blieb mit offenem Mund an der geöffneten Türe dieser Kammer stehen und starrte dort hinein. Ein riesiger Saal gefüllt mit lauter abgetrennten Köpfen, die auf etwas warteten und mich alle anstarrten.

 

»Halts Maul und fang an zu arbeiten, das wirst du schon noch mitbekommen, wie die Köpfe hier reinkommen«, rief die eine Kreatur und stieß mich in die Kammer hinein.

 

Der andere meinte grölend: »Wenn du nicht sofort anfängst zu arbeiten, landet dein Kopf auch hier in der Kammer, hä hä.«

 

Das war es also. Der Herrscher ließ den Leuten einfach die Köpfe abschlagen. Aber warum nur?

 

Doch das sollte ich erst viel später erfahren.

 

Eine ganze Armee von Köpfen, wie sollte ich das bloß schaffen? Doch es half alles nichts. Ich musste gehorchen. Es war furchtbar laut in dieser Kammer. Überall lagen die abgetrennten Köpfe herum und wimmerten. Ich hielt mir verzweifelt die Ohren zu.

 

»Seid doch endlich still!«

 

Die Köpfe redeten einfach weiter und beachteten mich nicht sonderlich. Erneut lief mir ein eiskalter Schauer den Rücken hinunter und ich dachte kurz daran wieder umzukehren.

 

Plötzlich hatte auch ich Angst davor geköpft zu werden. Doch der Weg nach draußen war mir durch die Kreaturen versperrt und es half alles nichts. Ängstlich betrat ich den Saal und ging bedächtig an den Köpfen vorbei. Es war ein fürchterlicher Anblick. Ich hatte in meinem Leben schon einiges gesehen, aber dieser Anblick war einfach zu schrecklich. An den abgetrennten Köpfen klebte überall noch das Blut. Plötzlich ekelte es mich vor dem Blut. Sehr merkwürdig.

 

»Rette uns«, rief plötzlich einer der Köpfe. »Nur du kannst uns retten – befreie uns von unserem Fluch. Du kannst es wirklich, denn du bist kein Wesen dieser Zwischenwelt. Du bist freiwillig hier.«

 

Ich blieb abrupt stehen und schaute den Kopf ganz verdattert an.

 

»Woher willst du das wissen?«, fragte ich ihn neugierig, »du kannst das gar nicht wissen, ich bin doch erst ganz kurz hier. Woher weißt du, dass ich hier nicht hergehöre und dass ich freiwillig hier bin?«

 

»Ich weiß, dass du ein Vampir bist, weil ich die Verbindung mit dem Vamuraibuch hergestellt habe«, meinte der abgetrennte Kopf und fixierte mich nachdenklich von oben bis unten. »Ich war es, der das Buch dazu gebracht hat, dich in diese Zwischenwelt zu befördern. Ich wollte, dass du uns vor diesem grausamen Herrscher befreist. Der Herrscher weiß nicht, dass ich über das Vamuraibuch Kontakt zur Welt aufnehmen kann. Das darfst du ihm auch niemals sagen.«

 

Ich starrte den Kopf gebannt an und nickte. Dieser erzählte weiter, was er alles vom Herrscher der Zwischenwelt wusste. Ich staunte nicht schlecht, als er mir von dessen unglaublichen Taten und Plänen erzählte. »Diese Kreatur ist schuld daran, dass seit langem niemand mehr aus dieser Zwischenwelt in die Hölle konnte. Alle müssen zu seinen Untertanen werden und nicht einmal der Teufel hat eine Handhabe gegen ihn, da der Herrscher das Tor zur Hölle verschlossen hat. Jeder der versucht, sich dem Herrscher entgegenzustellen oder eine gute Tat zu vollbringen, wird von ihm geköpft und ist ihm dann ausgeliefert – keiner hat eine Chance gegen ihn. Der Herrscher wird immer mächtiger. Er versammelt eine dunkle Armee und vereint so die bösen Mächte. Irgendwann will er dann mit Hilfe seiner unschuldigen Tochter, zurück in die normale Welt um diese mit dem Bösen infizieren.«

 

Der Kopf schnaufte und verzog angewidert den Mund. Dabei zuckte ich innerlich zusammen und wieder lief ein eiskalter Schauer durch meinen Körper.

 

Der Kopf erzählte indessen ungebrochen weiter: »Nur durch die Hilfe seiner Tochter kann er dies erreichen. Doch das Mädchen weiß nichts davon. Sie glaubt an das Gute in ihrem Vater und sieht seine Grausamkeiten nicht. Wenn Sie größer ist, wird sie in der Lage sein, mit Hilfe des Vamuraibuches, das Tor zur Welt zu öffnen. Dann kann der Herrscher die Welt mit dem Bösen überschwemmen und die Macht auf der Erde übernehmen.«

 

Jetzt fröstelte es mich immer mehr, was ja ungewöhnlich ist bei einem Vampir. Aber in dieser Zwischenwelt war scheinbar alles möglich und vieles anders.

 

Der Kopf fuhr unbeirrt fort: »Der Herrscher tut sich dabei immer leichter, denn die Menschen auf der Erde werden immer egoistischer, rachsüchtiger und verlogener. Sie bekriegen sich im kleinen und im Großen. Die Menschen haben weder Respekt voreinander, noch vor anderen Lebewesen oder der Natur. Sie vergehen sich immer mehr an der Natur und zerstören diese. Der Herrscher wird auf der Welt ein leichtes Spiel haben, nachdem die Menschheit immer mehr verkommt.«

 

»Das kann doch gar nicht sein, das darf nicht sein. So schlimm ist meine Welt auch wieder nicht. Es gibt noch viele gute Menschen und die werden sich dagegen wehren. Das Gute wird das Böse auf Erden bekämpfen. Es kann nicht sein, dass der Herrscher meine Welt kaputt macht. Das darf nicht sein –ich muss das verhindern!«

 

Ich war jetzt sehr verzweifelt, doch dadurch wurde auch mein Kampfgeist geweckt. Ich musste mit all meiner Macht das Böse aufhalten und wollte jetzt alles ganz genau von diesem Kopf wissen. Fieberhaft überlegte ich, was ich dagegen machen könnte und wirre Gedanken schwirrten in meinem Kopf herum.

 

Wie konnte der Herrscher durch das Vamuraibuch wieder auf die Welt zurückkommen? Was hatte das mit dem kleinen blonden Mädchen zu tun?

 

In Gedanken spielte ich bereits den Retter der Welt.

 

»Das wird möglich sein durch die Liebe seiner Tochter und ihren unzerstörbaren Glauben an das Gute«, erwiderte der Kopf, »wie du bestimmt schon ahnst, ist sie ist das einzige Wesen, das nicht in diese Zwischenwelt gehört. Sie ist ein freundliches, reines Wesen und sie könnte es schaffen, den blauen Tunnel für ihre Rückkehr in die Welt zu öffnen. Der Tunnel würde sich genauso öffnen, wie sich die Hölle für jeden öffnet, der in der Zwischenwelt eine gute Tat vollbringt.«

 

Der Kopf fokussierte mich noch intensiver, überlegte kurz und sagte dann folgende Worte mit Bedacht und auf eine sehr eindringlich Art und Weise: »Darum darfst du mich niemals auf ein Feld bringen, denn nur von dort aus besteht noch eine Chance für die Köpfe in die Hölle zu wandern. Doch der böse Herrscher hat das Tor zur Hölle versiegelt. Es kann keiner mehr durch und alle Köpfe sind in der Zwischenwelt gefangen. Es sind schon viele tausend und es werden täglich mehr. Bis der Herrscher seine Armee fertig hat und die Invasion auf der Erde beginnt.«

 

»Ich muss sie zerstören«, murmelte ich.

 

»Nein, das würde nichts bringen und du würdest den Hass des Herrschers auf dich ziehen. Wir müssen warten bis seine Tochter soweit ist. Nur mit ihr kannst du das Böse aufhalten.«

 

»Wie will der Herrscher seine Armee auf die Erde bringen?«, fragte ich den Kopf neugierig.

 

»Wenn der Tunnel zur Welt einmal auf ist, dann kann ihn jeder benutzen und seine Armee kann die Welt durch die fünf Kontinente erobern. Da die Tochter ihren Vater über alles liebt, wird sie nicht merken, dass durch sie allein der Tunnel in den jeweiligen Kontinent offen bleibt und so das Tor für die Armee öffnet. Wie alles genau von statten gehen soll, weiß ich leider noch nicht. Bis jetzt weiß auch seine Tochter noch nichts von ihrer Gabe, dazu muss sie erst noch älter werden. Außerdem muss der Herrscher auch noch warten bis seine Gefolgschaft groß genug ist.«

 

»Das ist ja schrecklich. Das müssen wir verhindern«, seufzte ich.

 

»Ja, aber das ist noch nicht alles. Dieser Mistkerl hat außerdem eine Möglichkeit gefunden, böse Menschen in der normalen Welt zu beeinflussen und sie noch böser zu machen. Ich weiß leider noch nicht wie er es macht, aber er kann sie dazu bringen Dinge zu tun, die so schlecht sind, dass sie irgendwann in diese Zwischenwelt gelangen. Danach verwandeln sie sich alle in diese Kreaturen.«

 

»Aber warum muss er diese Kreaturen dann überhaupt köpfen - was macht das für einen Sinn?«

 

Der Kopf überlegte kurz und rümpfte die Nase. »Das ist eine gute Frage, die ich dir aber leider nicht beantworten kann. Ich weiß nur, dass er mit dem ganzen Gefolge in die Welt zurückkehren will. Vielleicht geht das nur mit den Köpfen. Auf alle Fälle wird so der ganze Abschaum, den es jemals in der Welt gegeben hat, zurückkehren. Die Welt würde überschwemmt werden vom Bösen und Gewalt. Das wäre eine Katastrophe.« Der Kopf stöhnte leise auf. Er wirkte jetzt sehr deprimiert und hilflos.

 

»Sag mal - ich will dir ja nicht zu nahe treten - gehörst du nicht auch zum Abschaum der Welt, nachdem du hier bist? Hast du nicht auch Böses getan?«, fragte ich den Kopf schüchtern und fuhr zweifelnd fort, »warum willst du überhaupt die Welt retten? Was hast du für ein Interesse daran?«

 

Der Kopf senkte verlegen den Kopf.

 

»Ich bin noch nicht lange in dieser Zwischenwelt. Ich bereue alles was ich getan habe. Ich war nicht ich selbst, als ich diese grausamen Taten getan habe – ich war doch auch nur ein Vampir. Der Herrscher hatte mich beeinflusst und ich habe viele Menschen getötet. Aber ich bereue meine Taten. Sie wären nicht für mein Überleben notwendig gewesen. Ich hätte diese Menschen nicht gleich töten müssen«, seufzte der Kopf und fuhr fort, »meine Familie lebt noch auf der Welt und ich möchte einfach nicht, dass ihnen Böses angetan wird. Ich muss sie und die anderen retten!«

 

Der Kopf wirkte jetzt völlig verzweifelt und es war fast so, als würde er anfangen zu weinen.

 

Ich sah, dass es ihm sehr ernst war. Ich überlegte, ob ich ihm erzählen sollte, dass es auf der Welt nur noch meine Vampir Familie gab. Doch ich wollte ihm nicht all seine Illusionen nehmen. Ich beschloss also alles, was in meiner Macht stand zu tun, um den Herrscher der Zwischenwelt aufzuhalten und die Welt zu retten.

 

»Was kann ich dabei tun, um ihn aufzuhalten? Ich will alles versuchen, aber ich weiß nicht wie ich das machen soll!«

 

Mein Gesicht versteinerte sich zu einer ernsthaften Miene. Auf die Schnelle fiel auch mir nichts ein.

 

Der Kopf zuckte leicht mit den Augenbrauen, doch dann erhellte sich sein Gesicht.

 

»Vielleicht können wir ihn dazu bringen seiner Tochter etwas Gutes zu tun. Dann müsste er vielleicht aus der Zwischenwelt verschwinden und das Tor zur Hölle wäre wieder offen. Dann könnten alle, die Gutes tun wollten, diese Welt wieder verlassen und Ruhe finden«, meinte der Kopf nachdenklich und fixierte mich, als hoffe er auf meine Zustimmung.

 

Doch ich blieb stumm.

 

Nachdenklich fuhr der Kopf deshalb mehr zu sich selber fort. »Na gut, das wird wahrscheinlich bei dem grausamen Herrscher nichts mehr bringen. Er hat schon zu viel verbrochen. Da wird auch eine gute Tat nicht ausreichen!«

 

Er überlegte kurz und forderte mich dann eindringlich auf: »Du musst auf alle Fälle versuchen meinen Kopf hier zu lassen. Nur dann können wir regelmäßig kommunizieren. Wenn ich erst mal auf einem Feld gelangt bin, wirst du mich nicht mehr wiederfinden.«

 

Ich nickte. Zwar hatte ich den letzten Satz nicht wirklich verstanden, doch ich gehorchte und sah mich in der Kammer nach einem geeigneten Versteck um. Ich fand einen Mauervorsprung, der mir sehr gefiel und dem Kopf der als Versteck dienen sollte. Vorsichtig nahm ich den Kopf in die Hand und stellte ihn dort ab.

 

»Ich werde jetzt erst mal verschwinden müssen, um die anderen Köpfe auf die Felder zu bringen«, meinte ich, »der Herrscher darf nicht misstrauisch werden. Ich werde dir vorsichtshalber noch einen Krug darüber stülpen, damit dich keiner entdeckt. Ich werde versuchen, bald wieder zu kommen. Vielleicht fällt dir bis dann ja eine Lösung ein«

 

Mit diesen Worten schnappte ich mir den nächstbesten Kopf und Pfahl und machte sich auf die Suche nach einem geeigneten Feld. Doch das war gar nicht so einfach. Kaum dachte ich ein leeres Feld entdeckt zu haben, verwandelte sich dieses Feld in ein Neues. Der Herrscher hatte vorgesorgt und hatte die Felder verhext. Damit keiner bestimmte Felder ausfindig machen konnte und bestimmte Köpfe suchen konnte, wechselten die Felder sich immer ab. In dieser Zwischenwelt war einfach alles möglich. Darum also hatte der Kopf gemeint, ich würde ihn sonst nicht wiederfinden. Es wurde mir plötzlich bewusst, dass ich es mit einem sehr ernst zu nehmenden Gegner zu tun hatte. Konnte ich ihn überhaupt ohne fremde Hilfe besiegen? Würde mir das Mädchen dabei helfen?

 

»Ich muss möglichst bald mit ihr reden«, grummelte ich, dabei blickte ich mich um und sah, dass meine Bewacher mich nicht aus den Augen ließen. Keine Chance mich zu verdrücken. Ich musste sehr vorsichtig sein, damit sich meine Bewacher auf der sicheren Seite fühlten. Erst wenn sie mir vertrauten, würden sie nachlässiger werden. So brachte ich immer wieder neue Köpfe auf die Felder und arbeitete unermüdlich weiter. Doch es schien nicht aufzuhören, die Köpfe wurden irgendwie nicht weniger. Es war eine sehr anstrengende Arbeit und viele der Köpfe schrien so laut, dass mir bald die Ohren dröhnten. Und tatsächlich wurden die Köpfe im Raum wirklich nicht weniger. Kaum hatte ich einen Kopf auf ein Feld gebracht, war ein neuer Kopf in der Kammer. Es war zum Verzweifeln. Ich hatte bald das Gefühl wahnsinnig zu werden. Da fiel mir ein, dass ich noch ein Papiertaschentuch einstecken hatte. Ich teilte es und steckte mir die Tücher in die Ohren. Jetzt wurde es erträglicher und ich konnte besser denken. Ich arbeitete weiter bis zum Umfallen und brachte immer mehr Köpfe auf die Felder. Es schien so, als würden die Köpfe sich immer mehr vermehren, je schneller ich arbeitete.

 

Wieso wurde dieser verfluchte Raum eigentlich nicht leer? Wie konnten die Köpfe in dem Raum immer wieder nachwachsen? Wie schaffte es der Herrscher nur, die Menschen so schlecht zu machen, dass immer wieder neue Köpfe nach kamen?

 

Fragen über Fragen. Auch keiner der Köpfe konnte mir diese Fragen beantworten. Nur eines fand ich heraus. Jeder dieser Köpfe war ein Gegner des Herrschers gewesen und jeder von ihnen, hatte versucht in die Hölle zu gelangen und hatte sich ihm entgegengestellt.

 

»Der Herrscher muss ganz schön viele Gegner in der Zwischenwelt haben«, murmelte ich und wischte mir den Schweiß vom Gesicht, »ist diesem Mistkerl denn keiner gewachsen?«

 

Ich schaute kurz nach dem Kopf, der immer noch unter dem Krug versteckt war.

 

»Sag mal Kopf, kann es sein, dass die Menschen die der Herrscher auf so heimtückische Weise in die Zwischenwelt gelotst hat, dann doch noch zur Besinnung kommen und versuchen gegen das Böse anzukämpfen? Vielleicht wehren sie sich ja.«

 

Der Kopf hatte gerade ein Nickerchen gemacht und blickte mich mit großen fragenden Augen an. »Mm, das könnte natürlich sein. Es ist nicht ganz auszuschließen«, meinte er nachdenklich und räusperte sich, »du könntest damit tatsächlich Recht haben.«

 

Beide wusste wir ja nicht, dass es tatsächlich so war und dass je schneller ich arbeitete, umso mehr Köpfe dem Herrscher ausgeliefert waren. Ich selber war unbewusst zum Hilfsmittel des Herrschers geworden. Durch die Tat eines »Guten« konnten die Köpfe noch schneller mehr werden. Immer wenn ein Kopf die Kammer verließ, konnte ein neuer dazukommen. Wenn ich das gewusst hätte, dann hätte ich langsamer gearbeitet. Der Herrscher hatte genau gewusst, dass ich ihn seiner Sache schnell näher bringen würde. Diese Arbeit konnte nur ein Wesen aus der normalen Welt für ihn erledigen. Aber das Problem löste sich wie von selbst, weil ich durch die viele Arbeit schneller müde wurde. Ich schlief einfach in der Kammer der Geköpften ein, ohne vorher noch etwas zu essen. So erschöpft war ich von meinem ersten Arbeitstag gewesen. Ich hatte ja auch wirklich viel erlebt. Zu viel für einen jungen Vampir. So vergingen die Tage und ich hatte keine Zeit mehr über meine Flucht nachzudenken. Ich war in seinen Bann geraten und arbeitete bis zum Umfallen. Nur einmal als ich gerade dabei war einen Kopf auf ein Feld zu bringen, kam mir die Flucht in den Sinn. Ich fand die wunderschöne Wiese von der Tochter des Herrschers. Es gab in dieser verfluchten Welt tatsächlich eine schöne Wiese mit Blumen und einem kleinen Weiher. Hier war die Welt des kleinen Mädchens. Wie diese schöne Wiese in dieser grausamen Welt überhaupt entstehen konnte, war mir ein Rätsel. Doch auch hier hatten wohl irgendwelche Mächte ihr Spiel. Ein so reines Wesen in einer so schlechten Welt, musste einfach eine so schöne Wiese besitzen. Niemanden von den Kreaturen, auch nicht dem Herrscher und seiner Frau, war es vergönnt, diese Wiese zu betreten. Sie konnten sie nicht einmal sehen. Das konnten nur das kleine Mädchen und ich. Warum ich es konnte? Vermutlich weil ich zwar ein Vampir, aber trotzdem ein reines Wesen war. Ich hatte mir noch nie wirklich etwas zu Schulden kommen lassen. Darum konnte auch ich diese Wiese sehen. Wann immer es mir möglich war, ruhte ich mich deshalb auf dieser Wiese aus. Ich lag auch an diesem Tag in der Wiese und verschnaufte ein bisschen, als plötzlich die Tochter des Herrschers vor mir stand.

 

»Hallo du«, meinte sie, »was machst du auf meiner Wiese? Ich dachte immer diese Wiese würde nur in meiner Einbildung bestehen, weil nur ich sie sehen kann.«

 

»Hallo, ich bin Maximus. Du träumst nicht, auch ich kann diese Wiese sehen. Es ist ein wunderschöner Ort – so ganz anders als der Rest der Zwischenwelt. Ich war schon öfters hier, wenn ich mich von der anstrengenden Arbeit erholen wollte und habe dich gesucht. Aber du warst nie da.«

 

»Meine Eltern wissen nichts von meiner Wiese. Das ist mein Geheimnis. Ich glaubte immer, dass nur ich diese Wiese betreten darf. Freut mich, dich endlich kennen zu lernen. Ich heiße Chania.«

 

Eine leichte Röte durchlief ihr Gesicht.

 

Ich räusperte mich: »Mhm, ein schöner Name. Du verrätst mich auch nicht? Wenn du das deinem Vater erzählst, dann sperrt er mich bestimmt in ein dunkles Verlies ein.«

 

»Nein, Maximus ich werde dich nicht verraten. Das würde mein Vater außerdem nie tun. Ich bin froh, hier in dieser Welt endlich einen Freund gefunden zu haben. Du willst doch mein Freund sein?«

 

In ihrer Stimme klang eine leise Verzweiflung und Hoffnung. Zögerlich reichte sie mir ihre zarte Hand, die leicht schwitzte. Auch ich war sehr aufgeregt, als ich Chania meine Hand reichte.

 

»Natürlich will ich dein Freund sein.«

 

Wir betrachteten uns eine Weile schweigend. Keiner verlor ein Wort. Doch wir verstanden uns auch ohne große Worte. Eine tiefe Verbundenheit und gegenseitiges Vertrauen machte sich im Nu breit. Dann durchbrach lautes Getrampel die schöne Stimmung und tiefe Stimmen durchdrangen den Schutzschild der Wiese. »Wo ist denn dieser Mistkerl eigentlich, dieser faule Nichtsnutz!«

 

Chania erschrak. »Meinen die dich?«

 

»Ich glaube ja, ich muss leider gehen, sie suchen nach mir«, erwiderte ich traurig und verließ schnellen Schrittes die Wiese. Ich trat unschuldig vor sie, als ob ich gerade von einem Feld käme.

 

»Da ist er ja«, rief eine der Kreaturen.

 

Ein anderer schnappte mich und packte mich an der Jacke. »Denk nur nicht du könntest hier treiben was du willst. Du bist hier zum Arbeiten.«

 

»Ich arbeite doch, ich habe mich nur etwas verlaufen. Bringt ihr mich zum Schloss?«

 

»Du elender Nichtsnutz«, rief die andere Kreatur, »mach dich sofort wieder an die Arbeit. Du kannst doch alleine zum Schloss laufen, es ist doch da vorne! Verschwinde endlich!« Er ließ mich abrupt los und stieß mich dabei in Richtung des Schlosses.

 

 

 

Während ich mich in der Zwischenwelt behaupten musste, waren meine Eltern mit den Vorbereitungen für das Vampirbaby beschäftigt. Das Kinderzimmer war bereits eingerichtet, allerdings zunächst unten in der Gruft, denn die Spezialcreme konnten sie bei dem Baby noch nicht anwenden. Sie mussten vor allem aufpassen, dass das Baby nicht tagsüber geboren wurde. Das hieß, dass Gräfin Vamus das Schloss nicht mehr verlassen durfte. So musste sich die Gräfin wohl oder übel häuslich in der Gruft einrichten. Das tat sie natürlich auf ihre Art und Weise und so wurde selbst dieser schreckliche Ort noch gemütlich. Graf Vamus erkannte die Gruft nicht wieder, als er eines Abends nach Hause kam. »Du schaffst es selbst aus diesem Ort einen gemütlichen Platz zu machen. Jetzt kann unser Baby kommen. Morgen ist Vollmondnacht. Da müsste das Vampirbaby auf die Welt kommen«, meinte Graf Vamus, streichelte dabei seiner Frau sanft den Babybauch und fuhr fort: »Morgen ist die Nacht der Nächte. Das Vamuraibuch hat mir gesagt, dass für einen kurzen Augenblick die Zwischenwelt aus allen Fugen geraten wird.«

 

»Wie meinst du das?«, fragte Gräfin Vamus erstaunt und ängstlich zugleich. »Hast du etwa das Buch gefragt? Was passiert in diesen Minuten?«

 

»Für einen kurzen Augenblick wird sich das Loch auftun. Vielleicht schafft es unser Junge dann zu entfliehen. Ich muss es ihm sofort mitteilen.«

 

Das Vamuraibuch hatte dem Grafen auch mitgeteilt, dass er zu seinem Jungen durch das Buch Kontakt aufnehmen könne. Deshalb ging er erneut in das Kaminzimmer und blieb skeptisch vor dem Vamuraibuch stehen. Er überlegte kurz, ob er es wirklich wagen sollte und begann dann mit dem Buch zu sprechen.

 

»Kannst du mir helfen?«, fragte er zögerlich, »wie kann ich mit meinem Jungen Kontakt aufnehmen und ihm meine Worte mitteilen. Ich muss ihm unbedingt Bescheid geben, dass sich bei der Geburt des Babys das Zeitfenster kurz öffnet.«

 

Graf Vamus war ganz aufgebracht und nervös. Er konnte die Antwort des Buches kaum abwarten. Doch das Vamuraibuch musste nicht lange überlegen und es fing an Worte zu schreiben.

 

»Sprich deine Worte – ich schreibe sie auf. So wird es gelingen, das Maximus sie hört.«

 

Graf Vamus stöhnte erleichtert auf. Das war ja leichter als er gedacht hatte. Er setzte sich genau vor das Vamuraibuch und berührte leicht die Seiten am Rande. Das Buch reagierte darauf mit blauem Rauch. Er zögerte kurz und dann fing Graf Vamus an leise und bedächtig in das Buch zu sprechen. »Maximus – hörst du mich? Hier ist dein Vater. Morgen wird unser Vampirbaby auf die Welt kommen. Die Zwischenwelt wird für einen kurzen Augenblick aus den Fugen geraten. Ein Zeitfenster in Form eines blauen Tunnels wird sich auftun, und dort wo du gelandet bist wirst du in unsere Welt zurück gelangen können. Nutze diese Chance und komm zu uns zurück. Wir brauchen dich!«

 

Das Buch schrieb alles auf, was Graf Vamus gesagt hatte. Dieser war erleichtert und froh, dass er nicht selber in die Zwischenwelt eindringen musste um seinen Sohn zu retten. Maximus konnte jetzt durch die Geburt seiner Schwester selber fliehen.

 

Ich hielt gerade auf der Wiese mein Mittagsschläfchen und wartete auf Chania.

 

Da ist doch eine Stimme – ist das nicht die Stimme meines Vaters? Kann das sein? Woher kommt sie? Noch etwas benommen blickte ich mich um, konnte aber niemand entdecken. Ich rieb mir die Augen und glaubte zu träumen. Dennoch breitete sich ein Glücksgefühl in meinem Körper aus. Es musste wahr sein und eigentlich war es mir egal, woher die Stimme kam. Ich war einfach nur glücklich die Stimme meines Vaters zu hören. Ich bekomme morgen ein Geschwisterchen. Ein zufriedenes glückliches Lächeln spiegelte sich in meinem Gesicht wieder.

 

Was hat Papa gesagt, ein Zeitfenster, ein Tunnel? Ich muss zu meiner Familie zurück - sie brauchen mich. Ich muss unbedingt diesen Tunnel finden und in meine Welt zurückkehren. Ich zögerte nicht lange und machte mich sogleich auf den Weg in die Kammer der Geköpften, um Rücksprache mit dem Kopf zu nehmen. Was wird mir der Kopf nur dazu sagen? Hoffentlich wird er nicht sauer. Mein ganzer Körper war angespannt und vor lauter Nervosität zuckten meine Gesichtsmuskeln.

 

Was wird denn nur aus der Zwischenwelt werden, wenn ich sie verlasse – aus Chania - und wie kann ich dann meine Welt vor dem bösen Herrscher der Zwischenwelt retten? Fragen über Fragen quälten mich auf dem Weg zur Kammer. Ohne meine Anwesenheit könnte der Herrscher vielleicht ungehindert an seinem Plan weiter arbeiten, um die Welt zu vernichten. Das darf niemals geschehen.

 

Ich beschleunigte meinen Gang und lief jetzt immer schneller zur Kammer, denn ich musste schnellstmöglich mit dem Kopf reden. Dort angekommen hob ich den Krug hoch und erzählte dem überraschten Kopf aufgebracht was vorgefallen war. Der Kopf hörte mir aufmerksam zu und versuchte mich zu beruhigen.

 

»Mach dir keine Sorgen Maximus. Es dauert noch lange, bis der Herrscher ein Gefolge hat, das groß genug ist die Erde zu vernichten. Du kannst einstweilen ruhig den Tunnel des blauen Lichtes benutzen um zu deiner Familie zurückzukehren. Lass mich einfach hier in diesem Versteck. Ich werde eine Möglichkeit finden, zur gegebenen Zeit mit dir Kontakt aufzunehmen. Der Herrscher wird seine Tochter ohnehin erst für seine Zwecke benutzen können, wenn diese älter ist. Vertraue mir - es wird nichts passieren, bis du wieder kommst. Du kennst ja jetzt den Weg in die Zwischenwelt und kannst jederzeit zurückkehren.«

 

Mir fiel ein Stein vom Herzen, der Kopf nahm es mir nicht übel. Er blickte mich freundschaftlich an, doch dann bekamen seine Augen einen eindringlichen Blick. Er sprach die folgenden Worte mit Bedacht: »Du darfst niemals – ich wiederhole niemals das Buch aus Versehen schließen. Nur wenn das Buch weiterhin geöffnet bleibt, kann ich mit dir Kontakt aufnehmen.«

 

Ich nickte. Die Worte des Kopfes wirkten sehr besonnen und beruhigten mich etwas. Ich würde also zu Hause genügend Zeit haben um in meiner Welt an einem Plan zu arbeiten. Mein Vater konnte mir dabei bestimmt helfen. Auf einmal bekam ich fürchterliches Heimweh und verabschiedete mich deshalb schnell vom Kopf. Dabei hatte ich einen großen Klos im Hals und Tränen in den Augen.

 

»Ich werde zurückkommen und ich werde dir helfen. Wenn du mich brauchst, komme ich zurück.« Ich strich dem Kopf sanft über die Wange, stülpte den Krug wieder über ihn und verließ den Raum. Irgendwie hatte ich ihn in dieser kurzen Zeit liebgewonnen und wunderte mich über meine Gefühle. Tja, wenn ich die Wahrheit gewusst hätte! Jetzt musste ich nur noch unbemerkt in den Wald kommen. Ich wartete den Abend ab, da meine Bewacher dann immer essen gingen und mich aus den Augen ließen. Mittlerweile hatten sie ohnehin schon etwas das Interesse an mir verloren und ich konnte mich freier bewegen. Als sie verschwunden waren, schnappte ich mir einen neuen Kopf und einen Pfosten. Ich war auf der Suche nach dem Wald, aus dem ich gekommen war. Damals war ich geradlinig auf das Schloss des Herrschers zugelaufen. Diesen Weg musste ich finden und dann durfte ich ihn nicht mehr verlassen bis ich in den Wald kam. Mein Weg führte mich vorbei an vielen Feldern. Die versuchten mich immer wieder in die Irre zu führen und vom rechten Weg abzubringrn. Immer wenn ich an einem vorbei ging riefen mir die Köpfe nach.

 

»Lass ihn hier den Kopf, er ist für dieses Feld bestimmt. Du musst durch dieses Feld gehen, dann kommst du an dein Ziel.«

 

Die Stimmen waren so fordernd und eindringlich, dass ich Mühe hatte, ihnen nicht auf den Leim zu gehen. Hätte ich den Kopf auf ein Feld gesetzt, wäre dieses Feld wieder weiter gewandert und ich wäre zurück zum Schloss gekommen. Ich hätte niemals den Wald erreicht. Doch ich blieb hartnäckig und versuchte die Stimmen zu ignorieren. Es kostete mich viel Mühe und es dauerte lange, bis ich den Wald in weiter Ferne sah. Das war bestimmt wieder das Werk des bösen Herrschers gewesen. Er wollte bestimmt nicht, dass ich mich zu weit vom Schloss entfernte und so ließ er die Köpfe immer wieder diesen Satz sprechen. Doch ich war hartnäckig geblieben und immer geradeaus weiter gegangen. Da mir der Herrscher die freie Wahl der Felder zugesichert hatte, konnte ich so ungehindert weiter gehen. Mittlerweile war es bereits dunkel geworden, als ich endlich den düsteren Wald erreichte. Irgendwo hier musste ich herausgekommen sein. Ich erinnerte mich an einen großen Baum, eine mächtige Eiche, die am Ausgang des Waldes gestanden war. Kurz davor stülpte ich noch den Kopf auf einen Pfahl und steckte ihn in das letzte Feld.

 

»Falls dich jemand nach mir fragt, weißt du von nichts, verstanden! Du wirst sonst ewig auf diesem Pfahl sein!«

 

Der Kopf schaute mich zwar grimmig an, machte dann aber gleichgültig die Augen zu und verschwand inmitten der Köpfe. Das Feld begann sich zu drehen und schon war er verschwunden.

 

Schnellen Schrittes rannte ich zur großen Eiche. Dort blieb ich kurz stehen, weil ein kurzer Schauer meinen Körper durchzog. Ich erinnerte mich meine Ankunft und es gruselte mich leicht, dort erneut hinein zu gehen. Doch es half nichts. Ich musste zurück an die Stelle wo ich anfangs gelandet war. Hoffentlich war ich hier richtig. Wenn das hier nicht die richtige Stelle wäre, dann wäre alles verloren.

 

Zielstrebig suchte ich nach der Lichtung. Der böse Herrscher kam mir in den Sinn und ich fragte mich, was er mit mir anstellen würde, wenn er mich fände, bevor sich das Zeitloch öffnet. Daran mochte ich jetzt gar nicht denken. Er würde mich bestimmt in ein grässliches Verlies stecken und dort versauern lassen. Und dann würde ich weder meine Familie, noch Chania wieder sehen.

 

»Chania«, murmelte ich, als ich gerade an eine Stelle kam, die mir bekannt vorkam.

 

Wieso fiel mir immer wieder Chania ein?

 

Ein unbekanntes Gefühl machte sich in meinem Körper breit, als ich an dieses Mädchen dachte. Doch diese Gedanken wurden jäh unterbrochen als ich feststellte, dass ich die richtige Stelle gefunden hatte. Ich hatte es tatsächlich geschafft und fragte mich, wie ich hier hergekommen war. Hatte mir irgendjemand aus meiner Welt dabei geholfen, diesen Platz zu finden? Ich war eine Weile wie in Trance gegangen.

 

Plötzlich hörte ich Geräusche in weiter Ferne.

 

Das war doch nicht schon der Herrscher, der nach mir suchte? Und nichts von einem blauen Licht oder Zeitloch zu sehen. Hoffentlich hatte noch keiner mein Verschwinden bemerkt. Oder ließ er schon nach mir suchen? Hatte der Herrscher vom bevorstehenden Zeitloch etwas mitbekommen? Aber nein, woher sollte er denn das wissen - das konnte er gar nicht - das durfte er einfach nicht wissen. Ich hoffte, dass die Macht des Herrschers nicht bis zum Schloss meines Vaters reichen würde und dass nur ich die Stimme meines Vaters gehört hatte. Langsam begann es richtig kalt zu werden in dem Wald, ich wurde ungeduldig und lief ziellos im Kreis herum. Wann öffnete sich dieser blöde Tunnel endlich?

 

Die Geräusche wurden langsam lauter. In weiter Ferne hörten sie sich wie Pferdegetrampel an. Suchte mich der Herrscher etwa doch schon? Aber die Geräusche waren noch weit weg.

 

Hoffentlich fand er mich nicht, bevor sich der Tunnel öffnete! Vor lauter Angst und Kälte fing ich an zu zittern. Zu zittern? Ein Vampir? Lächerlich!

 

Doch in der Zwischenwelt war wohl alles anders. Und so ganz alleine im Wald, ohne Familie und Freunde - und dann noch den Bösen Herrscher mit seinen Kreaturen im Nacken. Das war wohl selbst mir, einem jungen Vampir, zu viel.

 

»Bitte beeile dich«, murmelte ich vor mich hin und meinte damit das Zeitloch, » öffne dich doch endlich bevor es zu spät ist.«

 

Das lange Warten zerrte an meinen Nerven. Ich spitzte die Ohren und versuchte die Geräusche aus der Ferne zu deuten. Doch diese waren immer noch zu sehr entfernt – ich hatte also noch Zeit.

 

» Wo bleibt denn nur dieses blöde Zeitloch. Ich will hier endlich weg – heim zu meiner Familie.«, murmelte ich mehr zu mir selbst. Ich konnte nur hoffen, dass mich der Herrscher nicht vorher fand.

 

 

 

 

 

Im Schloss von Graf Vamus hingegen war es bald soweit. Das kleine Vampirbaby war kurz davor auf die Welt zu kommen. Der Vollmond war bereits zu sehen und beleuchtete den dunklen Himmel. Doch davon sah Maximus in der Zwischenwelt nichts. Plötzlich zog sich der Himmel zusammen und veränderte sich. Er sah von einer Minute zur andern unheimlich aus. Ohrenbetäubende Geräusche, ein Blitzen und Krachen ertönte, wie es die Welt schon lange nicht mehr erlebt hat. Dann fielen aus dem Himmel blaue Lichter, wie Sternschnuppen und mit einem ohrenbetäubenden Schrei von Gräfin Vamus wurde das Vampirbaby geboren. Es war ein kleines süßes Mädchen, eine Schwester für Maximus. Die Eltern schlossen das kleine Wesen sanft in die Arme. Ein neuer Vampir war geboren. Es war fast ein Wunder. Ihr wundert euch sicherlich wie das überhaupt möglich war. Als die Liebe von Graf Vamus zur Lehrerin entfachte und sie die Erste Liebesnacht miteinander verbrachten, wurde die damalige Frau Mairose schwanger. Sie war also schon schwanger bevor sie der Graf zu seiner Gräfin machte. Nur so war es möglich, dass ein Vampirbaby geboren wurde. So etwas geschah ganz selten und das Baby war ein sogenanntes Halbblut.

 

Der Graf wusste das und war umso stolzer auf dieses Geschenk. Der Graf und die Gräfin waren in diesem Moment die glücklichsten Eltern auf der Welt – wäre da nicht Maximus gewesen.

 

 

 

Ich zuckte plötzlich zusammen. Über mir sah der Himmel zum Fürchten aus – genauso wie der Himmel auf der Erde. Der Himmel von beiden Welten war jetzt eins geworden und das Zeitloch hatte sich aufgetan. Der Herrscher und sein Gefolge, die mittlerweile mein Verschwinden bemerkt hatten und nach mir suchten, wurden von einem ohrenbetäubenden Geräusch überrascht und die Pferde blieben vor lauter Angst abrupt stehen. Ihre Blicke wanderten zum Himmel und dann sahen sie einen blauen Strudel, ähnlich einer Windhose auf sich zukommen. Die Pferde wieherten laut und drehten sich nervös um ihre eigene Achse. Der Herrscher und die Kreaturen versuchten zuerst die Pferde zu beruhigen, aber als auch sie den blauen Strudel sahen, versuchten sie zu fliehen. Doch von einem Moment auf den anderen erstarrten die Pferde und bewegten sich keinen Millimeter mehr von der Stelle. Der Strudel erreichte die Gruppe und Pferd und Reiter wurden in die Luft geschleudert. Die Macht des Himmels war auf meiner Seite und ich sah mit Erstaunen den fliegenden Körper in der Luft von meinem Versteck heraus. Es war als würde der Wind mit den Körpern spielen. Nach einiger Zeit als der Strudel des Spielens müde war, ließ er die benommenen Körper einfach wie Regentropfen zurück auf die Erde fallen. Dort blieben sie regungslos auf dem Boden liegen.

 

Ich stöhnte leise auf, denn jetzt war ich eine Weile sicher vor dem bösen Herrscher und seinem Gefolge. Sie würden mich nicht mehr davon abhalten können, in meine Welt zurückzukehren.

 

Dabei blickte ich erneut auf. Der Strudel war verschwunden, genauso schnell wie er gekommen war. Doch wo blieb nur dieser blaue Tunnel, das Zeitfenster. Wo war das blaue Licht, durch das ich durchgehen müsste – das Tor zu meiner Familie.

 

Dann wurde das Baby geboren, tat seinen ersten Schrei und just in dem Moment, tat sich das Zeitfenster auf und der blaue Tunnel öffnete sich.

 

Dieser blaue Tunnel erstrahlte in der Zwischenwelt am dunklen Himmel und kam dann auf die Lichtung zu. In kurzer Entfernung zu mir, blieb er dann stehen. Ich zögerte noch kurz und rannte dann so schnell ich konnte zu dem blauen Licht. Das blaue Licht wirkte auf mich magisch und ich wurde wie von einem Staubsauger aufgesogen. Es fühlte sich alles so leicht an. Ich taumelte und fühlte nur noch das Ziehen an meinem Körper. Dann verlor ich das Bewusstsein. Im Unterbewusstsein spürte ich nur noch ein unbeschreibliches Glücksgefühl. Dieses angenehme Gefühl wurde kurze Zeit später allerdings wieder jäh unterbrochen, als ich in hohem Bogen aus dem Vamuraibuch herausflog. Unsanft landete ich vor dem Kamin, in dem ein kleines Feuer loderte. Mein ganzer Körper verkrampfte sich. Doch dann empfing mich wohlige Wärme und ich genoss diese nach dem kalten Wald. Ein leises Lächeln umspiegelte mein Gesicht. Ich war noch nicht ganz bei Bewusstsein und es war, als würde ich mich immer noch in meinem Traum aufhalten. Nach einiger Zeit wachte ich noch etwas benommen auf, rieb mir die Augen und erkannte das Kaminzimmer im Schloss meines Vaters. Erneut zog ein Lächeln über mein Gesicht, bis es erstrahlte. Ich war angekommen und der Zwischenwelt und dem bösen Herrscher entkommen. Doch ich war ganz alleine im Kaminzimmer, es war keiner außer mir da.

 

»Papa, Mama, wo seid ihr denn – und wo ist das Baby«, rief ich laut. Und dann noch etwas lauter und erleichtert: »Mama, Papa ich bin wieder da. Das Baby hat mich gerettet!«

 

Doch niemand antwortete mir. Noch etwas wacklig auf den Füßen durchsuchte ich das Schloss. Nachdem ich nicht fündig wurde, ließ ich mich traurig und erschöpft auf der Couch im Kaminzimmer nieder und schlief sofort ein. Ich war wohl noch zu benommen gewesen, sonst hätte ich unten in der Gruft nach meiner Familie gesucht. Im dunklen Verlies hatte mich natürlich keiner hören können.

 

 

 

Dort unten hielt eine glückliche Mutter ihr Vampirbaby im Arm und der Graf umarmte seine Frau. Für eine kurze Zeit genossen die drei das traute Zusammensein. Für sie stand die Zeit eine Weile still.

 

»Maximus, was ist jetzt mit Maximus?«, stammelte die Gräfin wie aus heiterem Himmel und schaute ihren Mann fragend und vorwurfsvoll an.

 

Dieser zuckte merklich zusammen und bekam ein schlechtes Gewissen. Beinahe hätte er vor lauter Baby seinen Sohn Maximus vergessen.

 

»Maximus - das Zeitfenster«, murmelte er, »ich muss sofort in das Kaminzimmer und schauen, ob es Maximus geschafft hat. Kann ich dich, ich äh meine euch kurz alleine lassen?«

 

»Natürlich mein Liebling«, meinte die Gräfin und strich ihrem Mann sanft über die Wange, »such du nur Maximus, wir kommen eine Weile alleine zurecht.«

 

Zärtlich strich sie über den Haarflaum ihres kleinen Mädchens, die zufrieden in ihrem Arm lag und an ihrem Daumen nuckelte.

 

»Ich glaube die junge Dame hat ohnehin Hunger«, lächelte die Gräfin verschmitzt und legte ihr Baby an ihrem Busen an und ließ es trinken.

 

»Ja und ich schau mal ob unser Junge wieder da ist und ob sich das Buch verändert hat«, meinte er zu seiner Frau nachdenklich. »hoffentlich hat er diesen Tunnel gefunden.«

 

»Ja, geh nur, schau nach unserem Jungen – es ist bestimmt alles gut gegangen«, seufzte die Gräfin ganz leise und müde, denn sie war immer noch von der Geburt geschwächt.

 

»Bring mir nur endlich Maximus zurück!«

 

Graf Vamus lief sofort ins Kaminzimmer und fand seinen Sohn Maximus immer noch etwas benommen auf der Couch liegen.

 

 

 

»Da bist du ja«, seufzte er glücklich und rüttelte mich sanft wach, »geht es dir gut, mein Junge? Ich bin ja so froh, dass du dem Herrscher der Zwischenwelt entkommen bist.«

 

Noch etwas benommen spürte ich, wie er mich glücklich in die Arme nahm. »Du musst mir jetzt versprechen, dass du nie wieder in die Zwischenwelt gehst. Ich werde jetzt das Vamuraibuch schließen und das Buch weg sperren.«

 

»Nein Papa, das darfst du nicht«, schrie ich entsetzt und war mit einem Mal hellwach. Ich hielt meinen Vater krampfhaft fest, um ihn daran zu hindern. »Wenn du das tust, dann wird unsere Welt verloren sein!«

 

»Aber mein Junge, was redest du denn da für einen Unsinn, hast du dir den Kopf gestoßen?«

 

Vater hielt mir seine Hand an die Stirn und schaute mich besorgt an.

 

»Mein Junge, was hast du nur alles durchmachen müssen. Du bist aber irgendwie größer und erwachsener geworden. Die Zwischenwelt hat dich schneller reifen lassen.«

 

Ich schüttelte ungläubig den Kopf und versuchte meinen Vater zu verstehen. Ich war doch gar nicht lange weg gewesen. Was meinte er denn damit?

 

»Papa du musst mir glauben, der Herrscher der Zwischenwelt will unsere Welt erobern.«

 

Mein Vater zuckte bei diesem Namen merklich zusammen und wollte jetzt alles über die Zwischenwelt erfahren. Ich erzählte ihm alles was passiert war und was ich erlebt hatte. Von den Geköpften und den Feldern - vom Herrscher und seiner Frau und natürlich von deren Tochter Chania.

 

Als ich von Chania und ihrer Wiese erzählte bekam ich einen melancholischen Gesichtsausdruck und träumte mit offenen Augen. Mein Vater bemerkte es nicht, denn er war viel zu sehr mit seinen eigenen Gedanken und seinen eigenen Erfahrungen in der Zwischenwelt beschäftigt. Vergangenes holte ihn ein. Als ich dann noch vom Kopf erzählte und meinte es wäre der Kopf eines Vampirs, der mir geholfen hatte, zuckte Graf Vamus innerlich zusammen. Er wurde immer fahler im Gesicht. Vergessene Erinnerungen stiegen in ihm hoch, doch die Bilder waren verschwommen. Grausame Erinnerungen an die Zwischenwelt.

 

Das Gesicht meines Vaters erhellte sich kurzzeitig, doch dieser Geistesblitz war nur von kurzer Dauer. »Nein das kann nicht sein«, murmelte er leise vor sich hin. Es war, als würde sein Unterbewusstsein diese Gedanken nicht zulassen.

 

Ich war mit meiner Geschichte am Ende und schaute meinen Vater jetzt traurig an.

 

»Jetzt weißt du alles, du musst verstehen, dass ich irgendwann in diese Zwischenwelt zurück muss. Es ist noch lang Zeit bis dahin, aber wenn du mir dabei hilfst, werden wir noch genügend Zeit haben einen Plan auszuhecken. Du wirst mir doch helfen Papa?«

 

Es war mehr eine flehende Forderung, als eine Frage. Aus mir sprach nicht mehr der junge Vampir, der ich vor meinem Ausflug in die Zwischenwelt gewesen war. Ich fühlte mich reifer und entschlossener. Die Zwischenwelt hatte mich zu einem jungen Mann heranwachsen lassen.

 

»Natürlich helfe ich dir, mein Junge. Wir werden gemeinsam unsere Welt vor diesem schlimmen Herrscher retten. Aber jetzt bist du erst einmal zu Hause und kannst neue Kräfte sammeln. Komm lass uns zur Mama und dem Baby gehen, du hast eine ganz süße Schwester bekommen. Sie heißt Vanillia!«

 

Mein Gesicht strahlte.

 

Hand in Hand gingen wir zur Gräfin in das Verlies. Meine Mutter, die Gräfin Vamus war außer sich. Sie erhob sich sogleich aus dem Bett und umarmte mich heftig.

 

»Mein Junge – schön dass du wieder da bist. Ich hatte schon gedacht, wir hätten dich für immer verloren! Ich hab mir solche Sorgen gemacht«, schluchzte sie, »du musst mir versprechen, dass du niemals mehr in diese Zwischenwelt gehst!«

 

Sie umklammerte mich dabei immer fester und drückte mir fast die Luft ab. Es war als wollte sie mich nie mehr loslassen. Ich nickte nur beklommen, hätte ihr doch jetzt unmöglich von den Grausamkeiten, die ich erlebt hatte, erzählen können. Geschweige denn von den Plänen des Herrschers. Sie war dafür noch viel zu schwach. Der Zeitpunkt würde schon irgendwann kommen, dann würde ich sie einweihen.

 

Mama verließen ihre Kräfte und sie ließ mich erschöpft los. Müde sank sie zurück in ihr Kissen und betrachtete glücklich ihre kleine Familie. Mein Blick wanderte zur Wiege, in der meine kleine Schwester Vanillia erschöpft und friedlich schlummerte.

 

»Du bist aber süß – so süß wie dein Name«, meinte ich zu ihr und mit einem Lächeln im Gesicht, »du hast mich gerettet, das werde ich dir nie vergessen.«

 

Ich nahm das schlafende Baby hoch und gab ihm einen Kuss auf die Stirn. Dann drückte ich es sanft an mich und sog ihren Duft ein. Sie roch einfach köstlich.

 

Die Kleine machte kurz die Äugelein auf, lächelte mich an und schlief dann wieder erschöpft ein.

 

Ich strahlte vor Glück. »Jetzt sind wir endlich eine richtige Familie«, murmelte ich erschöpft, »ich muss jetzt erst einmal schlafen gehen. Die Tage waren so anstrengend.«

 

Ich schlief zwei Tage und zwei Nächte durch. Als ich mich wieder fitter fühlte, war mein erster Gang ins Kaminzimmer um nachzuschauen, ob das Buch noch aufgeschlagen war. Das war es noch und es kam immer noch sanfter blauer Rauch heraus.

 

»Es wird noch einige Zeit dauern. Ich bin noch nicht bereit, mich mit dem Kopf erneut in Verbindung zu setzten«, sprach ich zu dem Vamuraibuch, während ich über die Seiten strich, »ich muss erst wieder einen klaren Kopf bekommen und mich um meine Familie kümmern.«

 

Ich brauchte etwas Zeit, um das was passiert war zu verkraften. Zeit um mir eine Strategie zu überlegen, wie ich den Herrscher der Zwischenwelt daran hindern konnte, meine Welt zu zerstören. Nur als ich kurz an Chania dachte, bekam ich einen Stich im Herzen, der jedoch wieder verflog, als ich an meine kleine süße Schwester Vanillia dachte. Ich war so dankbar, dass ich noch eine Schwester bekommen hatte.

 

Dann verließ ich das Kaminzimmer, ohne mich noch einmal umzudrehen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Die Welt gerät aus den Fugen

 

 

 

So vergingen mehrere Jahre, in denen ich zusammen mit meiner Schwester Vanillia viele spannende Abenteuer erlebte und ihr als großer Bruder immer hilfreich zur Seite stand. Dass wir eine besondere Familie waren, die letzte noch existierende Vampirfamilie, wurde mir erst wieder klar, als ich eines Tages alleine im Kaminzimmer war. Ich betrachtete nachdenklich das Vamuraibuch aus dem immer noch der blaue Rauch herauskam. Wir lebten zwar abgeschieden am Rande des Dorfes, aber durch die Medien, insbesondere das Fernsehen und Internet, bekamen auch wir mit, was so alles in der Welt passierte. Und in den letzten Jahren war einiges passiert. Kriege hatte es schon immer gegeben, aber das was sich mittlerweile zusammenbraute, erschreckte mich. Jeden Tag hörte man in den Nachrichten von irgendwelchen Terroranschlägen, es gab viele Tote in der Welt. Selbstmordattentäter sprengten sich vor lauter Wahnsinn und Fanatismus selbst in die Luft und rissen dabei Unschuldige mit in den Tod. Insbesondere im Nahen Osten kämpfte mittlerweile jeder gegen jeden. Juden gegen Moslems, Moslems gegen Juden und Christen – alle irgendwie gegen die westliche Welt, deren Länder als die reichen Ausbeuter bezeichnet wurden. Doch auch in Afrika brodelte es. Es gab einen Bürgerkrieg nach dem anderen. Immer ging es entweder um Religionen, Bodenschätze, oder einfach nur um Macht und Geld. Es kehrte keine Ruhe in der Welt ein.

 

Stand die Übernahme des Herrschers der Zwischenwelt bald bevor? Hatte dieser etwas damit zu tun? Irgendwie hatte ich bei diesem Gedanken ein mulmiges Gefühl. Ich hätte am liebsten das Vamuraibuch dazu gefragt. Doch dazu fehlte mir der Mut. Das Erlebnis in der Zwischenwelt saß noch zu tief in mir drin. Andererseits war ich immer noch sehr neugierig. Nachdenklich betrachtete ich das Vamuraibuch.

 

Es hatte wohl meine Gedanken gehört und hatte angefangen stärker zu qualmen. Das beunruhigte mich und ich wollte schon das Kaminzimmer verlassen, als eine tiefe sanfte Stimme sprach: »Was bedrückt dich junger Vampir?«

 

Mir stockte der Atem. »Redest du mit mir? Muss ich jetzt schon die Welt retten?«

 

»Dafür ist noch etwas Zeit«, sprach das Buch, »aber ich werde dir all deine Fragen erklären, wenn du es wissen willst!«

 

»Ja, das möchte ich«. Jetzt war ich ganz aufgeregt. »Was passiert in der Welt? Das Böse wird immer stärker. Die Menschen bekriegen sich mehr und mehr. Ich habe Angst, dass sich die Welt selber zerstört vor lauter Hass, Neid und Missgunst! Hat der Herrscher der Zwischenwelt damit etwas zu tun? Ich habe so ein komisches Gefühl dabei. Die Welt gerät aus den Fugen.«

 

Aus mir sprudelte es nur so heraus. Der blaue Rauch aus dem Buch wurde immer stärker. Ich hatte Angst schon wieder vom Vamuraibuch aufgesogen zu werden und in der Zwischenwelt zu landen. Deshalb hielt ich mich krampfhaft an der Couch fest. Doch ich konnte es nicht lassen, ich musste meine Sorgen mit dem Vamuraibuch teilen. Irgendetwas lenkte meine Gedanken und Worte als ich weitersprach: »Hilf mir Vamuraibuch, bitte sprich mit mir!«

 

Der blaue Rauch wurde heftiger, als das Buch mit einer tiefen dunklen Stimme erneut zu sprechen begann: »Der Herrscher der Zwischenwelt, er bereitet seinen Angriff vor. Er hat schon aus der Ferne großen Einfluss auf die Menschen gewonnen und keiner kann ihn aufhalten. Er bringt Menschen dazu Dinge zu tun, die es früher nicht gab – sie töten Menschen und sprengen sich sogar selbst in die Luft. Selbstmörder gehören zu den Lieblingssoldaten des Herrschers. Er hilft ihnen einen fanatischen Glauben anzunehmen und andere Meinungen zu ignorieren. Jeder dieser Attentäter landet beim Herrscher der Zwischenwelt. Aber auch in der westlichen Welt gibt es immer mehr Gewalt, Neid und Missgunst. Werte, die früher mal den Zusammenhalt der Menschen bedeuteten, verlieren immer mehr an Wert. Die Menschen werden egoistischer und bekämpfen sich mittlerweile gegenseitig. Sie missbrauchen ihre eigenen Kinder und laden sich Nacktbilder von Kindern und Jugendlichen auf ihren Computer. Diese Menschen kommen alle in die Zwischenwelt und ihre Köpfe wandern auf die Felder. Es werden immer mehr. Je böser und schlechter die Welt wird, umso mehr Köpfe landen auf den Feldern des Herrschers. Umso schneller wird es dem Herrscher gelingen die Welt zu erobern. Dann wird nur noch das Böse regieren. Auch die Umwelt liegt in den Händen des Herrschers der Zwischenwelt. Er bringt die Menschen dazu, ihre Welt selbst zu zerstören. Die Zwischenwelt benötigt keine intakte Umwelt um zu existieren. Das ist alles das Werk des bösen Herrschers. Nicht einmal der Himmel und die Hölle können und dürfen darauf Einfluss nehmen. Der Herrscher kennt keine Regeln oder Grenzen. Er nutzt die Geld- und Machtgier der Menschen für seine Machenschaften. Das Einzige was ihm jetzt noch fehlt ist der direkte Zugang zur Welt. Und da kann ihm nur eine helfen – seine unschuldige Tochter Chania. Du musst versuchen sie zu überzeugen - nur mit ihr gemeinsam kannst du die Welt retten!«

 

Ich hatte mit offenem Mund den Worten des Vamuraibuches zugehört und war noch weißer im Gesicht geworden. Meine Vorahnung war also richtig gewesen. Dieser miese Herrscher hatte bei all den Gräueltaten in der Welt seine Finger im Spiel. Er wollte die Welt ihm Untertan machen - sie vernichten und beherrschen. Und dann auch noch Chania als sein Werkzeug benutzen. Dieses unschuldige Wesen war doch ihrem Vater bedingungslos ausgeliefert und würde deshalb alles für ihn tun. Ich musste sofort mit Papa darüber reden, verließ das Kaminzimmer und ging in die Gruft, weil ich hoffte, dort meinen Papa zu finden. Er hatte immer noch die Angewohnheit sich manchmal in seinem Sarg auszuruhen und genoss dort die Ruhe der Gruft.

 

»Papa, schläfst du schon richtig?«, dabei rüttelte ich meinen Vater ganz sanft. »Papa du musst aufwachen, wir müssen die Welt retten!«

 

Ich war jetzt richtig nervös und aufgeregt.

 

»Was ist denn jetzt schon wieder los, brennt das Schloss ab, oder warum weckst du mich in meinem Sarg auf?«

 

»Pa, der Kopf hat durch das Vamuraibuch zu mir gesprochen. Es wird bald soweit sein. Der Herrscher plant seinen Angriff auf die Welt. Wir müssen ihn aufhalten!«

 

»Was redest du denn für wirres Zeug. Was sollen wir tun? Wir können doch nichts dagegen tun und wissen auch nicht was wir dagegen tun können«, meinte mein Vater gähnend und kratzte sich am Kopf. Er war noch müde und etwas verwirrt und so gar nicht in der Stimmung über die Rettung der Welt zu reden.

 

»Ich weiß auch nur, dass wir dazu nochmals in die Zwischenwelt gehen müssen. Dort werden wir erfahren was zu tun ist. Wir müssen zu seiner Tochter Chania gehen um das Schlimmste zu verhindern.«

 

Der Graf gähnte erneut auf, dann zuckte er plötzlich zusammen. »Wir müssen aber zuerst zu deiner Mutter gehen! Das wird erst einmal eine schwierige Aufgabe werden.«

 

Von einer Minute zur anderen war er hellwach.

 

Wie soll ich das nur wieder meiner Frau erklären?

 

Komm mit Maximus, wir müssen mit Mama reden.“

 

Ich nickte beklommen.

 

Notgedrungen begaben wir uns zur Gräfin und erzählten ihr von unserem Vorhaben. Bisher hatte sie noch nichts von den Plänen gewusst, dass wir beide die Welt retten wollten. Seit Vanillias Geburt hatte sie zwischenzeitlich den Vorfall mit mir in der Zwischenwelt verdrängt. Sie hatte wohl gehofft, dass der Zeitpunkt niemals kommen würde, dass ich wieder diese Welt betreten musste. Und jetzt wollte auch noch Papa zusammen mit mir gehen. Was wäre, wenn wir es beide nicht mehr schaffen würden, wieder aus der Zwischenwelt raus zu kommen? Sie wäre dann ganz alleine auf der Welt mit Vanillia. Aber andererseits, wenn wir es nicht versuchten, dann würde der Herrscher die Welt erobern und alles wäre verloren. Eine Welt, die auch sie liebte und bereit war dafür zu kämpfen.

 

»Wie kann ich euch dabei helfen?«

 

Ihre Stimme klang etwas ängstlich und verzweifelt, aber dennoch entschlossen. Entschlossen all dem Bösen entgegenzuwirken um ihre Welt und ihre Lieben zu verteidigen. Die Löwin in ihr war erwacht. Papa zuckte mit den Achseln – er wirkte eher noch wie ein verschrecktes Löwenkind, dass nicht wusste in welche Richtung es gehen sollte. Er zögerte noch kurz, doch dann sah seine Frau die Kraft und die Entschlossenheit in ihm empor steigen. Jetzt war in ihm der mächtige starke Löwe erwacht und entschlossen meinte er zu seiner Löwin: »Ich weiß es noch nicht genau, aber ich bin mir sicher, dass wir es schaffen werden. Maximus und ich wir werden das Böse aufhalten und besiegen! Du musst dir keine Sorgen machen. Der Herrscher kann uns Vampiren nichts anhaben, in der Zwischenwelt. Er sollte uns lieber fürchten als sich mit uns anzulegen! Du kannst jederzeit durch das Vamuraibuch Kontakt zu uns aufnehmen. Du musst dich nur konzentrieren und mit dem Buch reden und Fragen stellen. Dann wird es dir die Antworten aufschreiben.«

 

Papa, der gerade noch in Rage war, stockte kurz und meinte dann hoffnungsvoll: »Vielleicht kann uns ja auch das Buch mit seinen geheimen Kräften helfen. Ich nickte zustimmend und mein Blick hellte sich auf.

 

Mama war jedoch etwas skeptischer und stellte mir eine Frage: »Wie wollt ihr denn wieder heim kommen? Wie soll das denn möglich sein?

 

»Die Tochter des Herrschers wird uns helfen!«, erwiderte ich überzeugt mit fester Stimme.

 

Ich war mir sicher, dass es einen Weg geben würde zurückzukommen und setzte deshalb noch ein Versprechen drauf. »Ich verspreche dir und Vanillia, dass wir wieder heil zurückkommen. Uns kann gar nichts passieren, wir sind doch beide Vampire! Ein Vampir lässt sich nicht so leicht unterkriegen!«

 

Meine Mutter schien überzeugt und nickte wohlwollend. Seufzend ließ sie uns schweren Herzens ziehen. Sie und Vanillia weinten zwar etwas als wir uns verabschiedeten und ins Kaminzimmer gingen, doch sie wussten auch, dass es keinen anderen Weg gab. Das Vamuraibuch erwartete uns schon und war bereits vollständig in blauen Rauch gehüllt. Mein Vater nahm meine Hand und gemeinsam tasteten wir uns vorsichtig an das Buch heran. Unsere Gedanken waren schon längst in der Zwischenwelt. Mein Vater war sehr angespannt und in einer seltsamen Stimmung. Eine Mischung aus Neugier, Abenteuerlust und ein klein wenig Angst. Letzteres wollte er mir natürlich nicht zeigen. Das Vamuraibuch reagierte prompt auf unsere Anwesenheit. »Ich habe euch erwartet! Ich bin bereit euch in die Zwischenwelt zu bringen. Habt keine Angst«, sprach wieder diese eigenartige dunkle Stimme aus dem Vamuraibuch. Wir zuckten innerlich zusammen. »Woher weiß das Vamuraibuch…?«, sagte ich mehr zu mir selber. Vater zuckte mit den Schultern und wirkte eigentlich nicht überrascht. Das Vamuraibuch antwortete mit einem immer heftiger werdenden blauen Rauch und plötzlich entwickelte sich daraus ein sich immer schneller drehendes und immer größer werdendes Loch, eine Art Staubsaugerschlauch, das uns beide in sich hinein zog. Nacheinander wurden wir so vom blauen Wirbel erfasst. „Ich möchte nicht schon wieder bewusstlos werden. Dieser heftige Sog, er wirbelt meine Gedanken durcheinander. Zu spät.“, waren meine letzten Gedanken, bevor mir die Sinne schwanden.

 

Diese Kälte – die Nässe – und dieser Geruch. Er kam mir irgendwie bekannt vor. Ich rieb mir die Augen und erblickte diese grässlichen Bäume. Dieses Mal war ich wohl direkt auf dem Rücken gelandet. „Die Zwischenwelt“, murmelte ich. „Ich bin wieder in der Zwischenwelt. Wo bist du Papa?“

 

Maximus bist du das?“, fragte Papa und tastete nach meiner Hand.

 

Ja Papa, ich bin es. Wir haben es geschafft. Wir sind in der Zwischenwelt.“

 

Das ist gut Maximus“, murmelte er erschöpft zurück.

 

Dieses Mal war es für mich erträglicher, denn ich war nicht allein und hatte meinen Papa an meiner Seite. Ich ergriff seine Hand fester, zog mich nahe an ihn heran und flüsterte ihm leise ins Ohr: » Papa, wir müssen jetzt sehr vorsichtig sein, dass uns der Herrscher und seine Kreaturen nicht sofort entdecken. Lass uns nicht den geraden Weg zum Schloss gehen, sondern außen um die Felder herum. Wahrscheinlich halten sich alle schon im Schloss auf und man könnte uns sehen.«

 

Papa nickte, setzte sich hin und blickte sich um.

 

Hoffentlich hat auch niemand das blaue Licht gesehen. Komm mein Junge, lass uns zum Schloss gehen.“

 

Er stand auf und reichte mir seine Hand. Gemeinsam schlichen wir uns vorsichtig aus dem Wald hinaus und kamen an das erste Feld. Die Köpfe in diesem Feld waren in einem erbärmlichen Zustand. Sie hatten schon grausam ausgesehen, als ich diese Welt vor einiger Zeit verlassen hatte. Aber jetzt sahen sie immer mehr dem Herrscher ähnlich. Die Köpfe waren voller Geschwüre, Furunkel und ekligen Eiterherden.

 

»Die sehen ja wirklich grausam aus, so hast du sie gar nicht beschrieben Maximus!«, meinte Papa angewidert und fixierte die Köpfe. Ich zuckte mit den Achseln.

 

»Ich weiß auch nicht was passiert ist! So schlimm sahen sie das letzte Mal nicht aus!«, meinte ich entsetzt. Auch mir graute es. Was war hier nur passiert?

 

»Rettet uns! Wir verfallen langsam!«, schrie da einer der Köpfe, »irgendetwas passiert mit uns!«

 

Noch bevor ich etwas antworten konnte, hatte sich das Feld verändert und aus den Köpfen waren blutunterlaufene Köpfe geworden. Man sah, wie die Adern hervortraten und bei manchen schon geplatzt waren.

 

»Rettet uns! Wir zerplatzen langsam!«, schrie ein anderer Kopf.

 

»Irgendetwas passiert mit uns!«, schrie ein weiterer.

 

»Es scheinen merkwürdige Dinge hier in der Zwischenwelt zu passieren Papa! Die Zwischenwelt gerät aus den Fugen. Wir müssen uns beeilen!«

 

»Wahrscheinlich hast du Recht mein Junge, ich glaube wir sind bald im Schloss!«

 

Vater ging jetzt mit schnellen Schritten voran. Wir kamen an das nächste Feld. In diesem waren die Köpfe fast durchsichtig geworden und sie schauten merkwürdig blutleer aus.

 

»Die schauen ja noch gruseliger aus! Wie wenn sie sich auflösen würden!« Mir wurde es angst und bang. »Rettet uns! Wir lösen uns langsam auf!«, schrie da wieder einer der Köpfe, »etwas unheimliches passiert mit uns!«

 

»Los Maximus lauf los, es ist bald soweit, wir müssen uns beeilen!«

 

Wir nahmen die Füße in die Hand und rannten so schnell wir konnten, als wäre der Teufel persönlich hinter uns her.

 

Wir sind da“, keuchte mein Vater, als wir angekommen waren, „lass uns sofort in den Thronsaal gehen“. Er öffnete mit Kraft die schwere Eisentüre und ging schnurstracks in die richtige Richtung. Merkwürdigerweise wusste Papa noch genau, wie es zum Thronsaal ging. Obwohl das schon sehr lange her war.

 

Ich erkenne ihn wieder. Da vorne ist dieser Mistkerl!“, flüsterte mein Vater.

 

Dort stand wirklich der Herrscher und führte gerade mit seiner Tochter Chania ein ernsthaftes Gespräch. Ich seufzte leise. Aus dem kleinen Mädchen war ein junger Teenager geworden - ein hübsches Mädchen - ein richtiger Engel. Man hätte meinen können, dass ein netter Vater mit seiner Tochter sprach.

 

»Mein liebes Kind, du musst deinem dich liebenden Vater einen Gefallen tun.«, säuselte er.

 

»Was denn mein Vater, ich werde alles tun was du von mir verlangst.« Chania himmelte ihren Vater an - sie liebte ihn bedingungslos.

 

Fassungslos beobachteten wir die Szene. Das Mädchen war so unschuldig und sah immer nur das Gute in ihrem Vater. Dass sie das schlimmste Wesen im Universum vor sich hatte, war ihr in keinster Weise bewusst. Sie war ihm hörig und er konnte sie jederzeit um seinen kleinen Finger wickeln.

 

»Komm mit mein Liebling, wir müssen in die Gruft des Schlosses gehen und eine Geheimtüre öffnen.«

 

Chania schüttelte ihren Kopf.

 

»Ich habe aber Angst davor in den Keller zu gehen und dann noch in eine Gruft, was ist das denn?«

 

»Das ist nichts schlimmes, es wird uns das Tor zu einer schöneren Welt öffnen. Kannst du dich noch an den netten kleinen Vampir erinnern? Er kommt aus dieser schönen Welt. Du kannst ihn dort sicherlich besuchen.«

 

Die Miene von Chania erhellte sich kurzzeitig und wurde von einem Lächeln durchzogen.

 

»Er meint wohl mich damit«, dachte ich und lächelte. Er musste wohl damals gemerkt haben, dass mich das Mädchen ganz entzückt angesehen hatte. Die Sympathie war wohl auf beiden Seiten gewesen, oder war es gar Zuneigung gewesen?

 

»Sag mal träumst du mit offenen Augen, du kleiner Weltretter? «zischelte Papa mir ins Ohr, »los, wir müssen den beiden folgen und sehen was sie vorhaben.«

 

Chania und ihr Vater wollten schon losgehen, doch diese fühlte sich merklich unbehaglich bei dem Gedanken an die Gruft - sie war noch nicht bereit.

 

»Papa, hat das nicht bis morgen Zeit?«, stammelte sie, »ich bin schon so müde und es ist schon so spät. Ich muss mich erst einmal ausschlafen, bevor ich in diese Gruft gehen kann!«

 

Sie rieb sich die Augen und gähnte.

 

Der Herrscher setzte kurzzeitig eine finstere Miene auf, doch dann lächelte er Chania wieder an. Er wusste, dass dieser Schritt von seiner Tochter ohne Zwang geschehen musste und lies es deshalb geschehen.

 

»Du hast Recht meine Kleine, morgen ist auch noch ein Tag. Wir werden morgen nach dem Frühstück in die Gruft gehen und deine Mutter mitnehmen.«

 

Ein kluger Schachzug des Herrschers, denn er wusste, dass Chania sich wohler fühlen würde, wenn ihre Mutter auch dabei war. Mit diesen Worten verließen beide den Thronsaal und begaben sich in ihre Gemächer. Ich stöhnte erleichtert auf.

 

»Wir haben also noch etwas Zeit. Wir müssen vorher noch in den Saal der Geköpften gehen und den Kopf suchen. Vielleicht kann er uns ja helfen.«

 

»Ja, das ist eine gute Idee. Vielleicht können wir mit Hilfe des Kopfes das Verlies vorher finden und erkunden. Vielleicht finden wir heraus, was es mit diesem Verlies auf sich hat und was der Herrscher dort mit seiner Tochter vorhat.«

 

Leise schlichen wir aus dem Thronsaal und begaben uns in den Saal der Geköpften. Der war mittlerweile fast leer geworden. Wo waren nur all die Köpfe geblieben? Normalerweise füllte sich der Raum immer wieder, wenn ein Kopf auf das Feld gebracht wurde. Ich suchte das Versteck nach dem Kopf ab, fand ihn aber nicht. »Kopf wo bist du?«

 

Ich schaute mich verzweifelt um. Alle restlichen Köpfe schienen zu schlafen. Da bemerkte ich in der letzten Reihe meinen Kopf. Er wirkte etwas geschwächt.

 

»Hallo Maximus, hier bin ich. Tut mir Leid, aber ich bin etwas schwach, da es mich ungeheuere Anstrengung gekostet hat, euch beide in die Zwischenwelt eindringen zu lassen. Darum konnte ich seitdem auch noch keinen Kontakt mit euch aufnehmen. Was habt ihr denn bisher alles gesehen und herausgefunden?«

 

Das ist dein Kopf?“ Ich nickte.

 

Papa rieb ich die Augen und schüttelte ungläubig seinen Kopf. Wir gingen näher an den Kopf ran und plötzlich erstarrte mein Vater. Die Kinnlade fiel ihm beim Anblick des Kopfes hinunter.

 

»Das gibt´s doch gar nicht! Du bist es wirklich, Papa!«, stammelte er.

 

Dabei liefen ihm Tränen über das Gesicht.

 

Zärtlich nahm er den Kopf in die Hände. »Papa!«

 

»Ich, äh ich ahnte es«, stammelte dieser verlegen, »die ganze Zeit hoffte ich, dass Maximus dein Sohn wäre. Ich bin damals nicht zu Staub verfallen. Ich lebe seitdem als geköpfter in dieser Welt. Gefangen für immer und ewig.«

 

Er erzählte seinem Sohn was seitdem alles in dieser Zwischenwelt passiert war. Papa und ich berichteten ihm abwechselnd von den Feldern mit den grausamen Köpfen und was wir im Thronsaal mitbekommen hatten. Der Kopf nickte.

 

»Es ist höchste Zeit, dass wir etwas unternehmen. Der Herrscher ist kurz davor, in die Welt einzudringen. Er hat es irgendwie geschafft einen Teil der Menschen so zu beeinflussen, dass sie jetzt schon seine Diener sind. Diese Menschen haben keine Werte mehr, sie bringen sich gegenseitig um. Aggressionen, Missgunst und Neid beherrschen sie. Sie alle sind das Werkzeug eines Herrschers, der schlimmer als der Teufel ist. Nicht einmal Luzifer hat die Möglichkeit einzugreifen, da der Weg zur Unterwelt verbarrikadiert wurde. Nur die Tochter des Herrschers könnte jetzt diesen Zugang wieder freilegen. Dann könnte der Teufel einschreiten und den Herrscher besiegen. Er ist der einzige, der diese Macht hat und den Zugang von der Unterwelt zur Zwischenwelt hat. Nicht einmal Gott im Himmel kann in der Zwischenwelt eingreifen. Wer weiß, ob der liebe Gott die Welt vor dem Herrscher retten könnte.«

 

Der Kopf begann sehr nachdenklich zu werden. Und auch wir wurden auf einmal sehr nachdenklich. Das war uns allen doch zu viel. Einige Zeit verging und die Nacht verging, bis wir uns alle gefangen hatten. Am Morgen fand ich als erster wieder die Worte.

 

»Los aufstehen, wir müssen jetzt sofort zu Chania und sie überzeugen, ihren Vater aufzuhalten! Vielleicht kann ich sie überzeugen.«

 

Mein Vater grinste mich an.

 

»So, Chania heißt dieses zauberhafte Wesen also«, schmunzelte er, »du scheinst sie ja schon etwas besser kennen gelernt zu haben.«

 

»Ähm, ich konnte vor meiner Flucht mit ihr auf der schönen Wiese sprechen. Sie ist wirklich ganz nett.«

 

Papa und Opa grinsten jetzt bis über beide Ohren.

 

Wie peinlich. Wenn Vampire erröten könnten, so wäre mir das jetzt passiert. Sie glaubten doch nicht etwa …? Verlegen senkte ich den Kopf. Ohne weiter darauf einzugehen, nahm Papa seinen Vater, den Kopf in die Hand und wir begaben uns erneut in den Thronsaal. Der Herrscher versuchte gerade Chania zu überzeugen. »Chania, jetzt sei nicht so störrisch. Es ist wirklich wichtig, dass du mit mir in die Gruft gehst, es hängt viel davon ab!«

 

»Ich habe so fürchterliche Angst Papa, ich kann nicht in diese Gruft hinunter gehen. Es soll dort Schlangen und alle möglichen Krabbeltieren geben!«

 

Chania fing an zu zittern. Sie tat mir richtig leid.

 

»Jetzt stell dich nicht so an Chania!”, mischte sich jetzt die Frau des Herrschers, dieses grässliche, widerliche Weib ein, die soeben gekommen war. Dann jedoch verharrte sie kurz, als sie den erschreckten Blick ihrer Tochter sah. Sie fuhr in einem süßlichen Ton fort, auf ihre Tochter ein zureden. »Mein liebes Kind ich verspreche dir, dass dir nichts passieren wird!«

 

Dabei nahm sie Chania in den Arm.

 

»Na schön ich geh mit, wenn ihr meint!« meinte Chania noch etwas bedrückt, »ich werde euch ja helfen!« Der Herrscher strahlte seine Frau mit einem siegessicheren Lächeln an.

 

Meine Chania wird mir helfen, mein Ziel zu verfolgen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Folgenschwere Entscheidung in der Gruft

 

 

 

»Oh nein«, flüsterte der Kopf uns zu, »jetzt wird das Böse seinen Lauf nehmen. Wir müssen ihnen in die Gruft folgen. Vielleicht können wir ja noch schlimmeres verhindern. Los schnell, bevor wir sie dort unten in den verwinkelten Gängen verlieren!«

 

Vorsichtig schlichen wir hinter dem Herrscher, seiner Frau und Chania her. Es war gar nicht so leicht ihnen zu folgen, um in diese Gruft zu gelangen. Wir mussten erst durch mehrere Gänge und Räume gehen um an unser Ziel zu gelangen. Mir war so, als würden sich alles hier genauso verändern, wie draußen die Felder. Wir hatten Mühe nicht entdeckt zu werden, denn einerseits mussten wir den anderen unbemerkt folgen und andererseits hatten wir nicht viel Zeit, da sich die Gänge laufend veränderten und die Richtung wechselten. Irgendwie kamen wir trotzdem immer tiefer unter die Erde. Chania gefiel das ganze nicht und sie begann zu torkeln. Sie fühlte sich schwach und ihr war schwindelig. Die Gänge begannen sich vor ihr zu drehen. »Wann sind wir denn endlich da? Ich kann nicht mehr!«, seufzte sie erschöpft, »ich kann wirklich nicht mehr.«

 

»Gleich ist es so weit, wir sind bald da!«, versuchte der Herrscher sie zu beruhigen, »siehst du das große Tor da vorne, da müssen wir hin.«

 

Er nahm Chania an der Hand und schnellen Schrittes lief er mit ihr zu einem großen Tor, das mit merkwürdigen Beschlägen bestückt war. Im unteren Teil zeigten sie grausame Kreaturen. Chania wich entsetzt zurück, denn diese Beschläge waren genau in ihrer Sichthöhe angebracht. Beinahe wäre sie ohnmächtig geworden. »Da geh ich nicht hinein!«, sagte sie bestimmt und wirkte plötzlich wie ein trotziges Kind.

 

In Wahrheit machte sie sich vor lauter Angst fast in die Hose. Ihr Blick wanderte nach oben. Dort erblickte sie erneut Beschläge. Diesmal waren sie aus lauter Engeln, die elfenhaft und freundlich wirkten.

 

»Warum besteht ein Tor aus Kreaturen und Engeln«, dachte sich Chania, »hat das was mit Gut und Böse zu tun? Was hat dieses Tor damit zu tun?«

 

Chania wurde immer unsicherer und ratloser und blickte ihre Eltern verzweifelt an. Der Herrscher spürte wohl, dass er in diesem Fall mit Strenge oder Gewalt nicht weiterkommen würde. Vor allem musste Chania freiwillig in Gruft gehen, sonst würde sein schöner Plan zerplatzen. Wie konnte er sie nur davon überzeugen? Da fiel dem Herrscher etwas ein. Etwas ganz gemeines. Er tat so, als wäre er schwer krank und die Rettung würde für ihn hinter dem Tor liegen.

 

»Mein Kind«, sagte er leise und schwächlich, »du musst mir helfen. Ich bin schwer krank und hinter diesem Tor ist meine Rettung! Nur du kannst mich retten. Du alleine bist fähig dieses Tor zu öffnen!«

 

»Du bist krank Papa? Wie kommt das so plötzlich? Ich kann das Tor nicht öffnen – ich schaffe das doch nicht alleine!«, erwiderte Chania völlig verzweifelt und blickte ihn unsicher an. Man merkte ihr an, dass sie ihm helfen wollte, aber sie konnte einfach nicht. Da fiel der Herrscher plötzlich in sich zusammen. Seine Frau wollte ihn noch stützen, doch vergeblich. Er tat natürlich nur so, aber Chania glaubte, dass er zusammengebrochen und bewusstlos war. Die Mutter blickte hilfesuchend in Chanias Richtung.

 

»Nun mach schon mein Liebling. Du siehst doch wie schlecht es deinem Vater geht.«

 

»Ich werde dir ja helfen«, schluchzte jetzt Chania, »was muss ich tun, um dieses Tor zu öffnen?«

 

Die Frau des Herrschers half ihrem Mann wieder auf die Beine. Schwer auf seine Frau stützend, erklärte er Chania den Mechanismus des Tores. Mit schwacher kaum hörbarer Stimme deutete er mit dem Zeigefinger auf zwei der Beschläge.

 

»Hier die beiden Beschläge, die Schlange mit der Kreatur auf der einen Seite und die Taube mit dem Engel auf der anderen Seite. Du musst beide gleichzeitig drücken, dann wird das Tor aufgehen.«

 

Die Herrscherin nickte wohlwollend.

 

»Na gut, wenn es sein muss«, wisperte Chania schüchtern.

 

Zögernd näherte sie sich den Tor und ihre rechte Hand berührte die Taube mit dem Engel.

 

Angenehme Wärme durchströmte ihre Hand.

 

Vorsichtig bewegte sie ihre linke Hand in Richtung der Schlange mit der Kreatur. Eisige Kälte empfing ihre Hand, als sie den linken Beschlag berührte. Sie hätte am liebsten wieder die Hand zurückgezogen, doch die Beschläge ließen das nicht zu. Wie von unsichtbarer Hand gelenkt drückte sie dann gleichzeitig auf beide Beschläge. Diese gaben sofort nach und öffneten sich leicht. Chania sprang einen Satz zurück, denn aus der Türe quoll ein merkwürdiger Rauch. Doch dieses Mal war er nicht blau, sondern bis zur Mitte hin blutrot und ab der Mitte schneeweiß. Man konnte bald das Tor nicht mehr sehen, geschweige denn etwas anders.

 

Der ganze Raum vor dem Tor hüllte sich in weiß-roten Rauch. Man konnte die Hand nicht vor den Augen sehen. Totenstille machte sich breit und wir alle hielten den Atem an. Keiner wagte sich mehr zu bewegen, denn alle warteten gespannt ab, was als nächstes passieren würde.

 

Auch mir wurde es ganz anders. Ich klammerte mich an meinen Vater. Wir hatten uns in dem großen Raum hinter einem Mauervorsprung versteckt und pressten uns jetzt an die kalte Wand. Von dort aus konnten wir nur noch hören und nichts mehr sehen.

 

»Wer möchte in mein Verlies eindringen? Wer wagt es mich zu stören!«, sprach eine unheimliche Stimme hinter dem Tor. Chania zuckte zusammen.

 

»Du musst ihm sagen wer du bist«, flüsterte der Herrscher in Richtung seiner Tochter.

 

»Ich, ich bin Chania und erbitte Einlass!«, wisperte sie,

 

denn vor Aufregung konnte sie kaum noch sprechen. »Der Einlass wird dir gewährt mein Engel!«

 

Mit diesen Worten ging das Tor mit einem ohrenbetäubenden Geräusch auf und es kam nur noch weißer Rauch aus dem Raum heraus.

 

Der Herrscher nahm Chania und seine Frau bei der Hand und verschwand schnell durch das Tor.

 

»Schnell, wir müssen hinterher, bevor sich das Tor wieder schließt«, meinte der Kopf.

 

Doch dann sahen wir, wie der Herrscher zurück kam und eine Beschwörungsformel ausrief.

 

»Tora overta momentum!«

 

Gleichzeitig legte er ein Büschel Haare seiner Tochter, das er ihr in der Nacht abgeschnitten hatte, in das Türschloss. Das Tor blieb so geöffnet und konnte nicht geschlossen werden. Als auch der Herrscher in dem Raum verschwunden war, gingen die drei vorsichtig durch das Tor. Sie befanden sich jetzt in einem Vorraum, der gefüllt war mit weißem Rauch. Dieser ging wie ein Kreisel nach vorne hin spitz zu und mündete wieder in einen kleinen Tunnel, der in weißem Licht erstrahlte. Ich hatte gerade aus meinem Versteck gelugt und sah sie dort hinein verschwinden.

 

Chania fand, das es hier nicht mehr so modrig roch, wie in den Räumen bisher. Alles schien hier heller und freundlicher zu sein. Es war als hätte man eine andere Welt betreten. Sie fühlte sich hier bedeutend wohler. Ein zufriedenes Lächeln umhüllte ihr Gesicht. Mir hingegen gab der weiße Gang erneut Rätsel auf. Am Ende sah ich einen großen Raum.

 

War das das Tor zur Welt? Ist es dem Herrscher schon gelungen es zu öffnen? Ist er seinem Ziel schon ein Stück näher gekommen? Ist das der Anfang oder das Ende der Welt?

 

Wartet hier, ich muss alleine gehen“, forderte ich Vater und den Kopf auf, „ihr müsst hier warten.“

 

Ohne eine Antwort abzuwarten, schlich ich Chania und ihren Eltern allein hinterher. Diese ging jetzt beschwingt und fröhlich den Gang entlang.

 

Es war, als wäre sie endlich angekommen.

 

Doch wo war sie ankommen? Der Gang führte sie in einen schneeweißen hellen Raum. Aus diesem Raum wiederum gingen fünf Gänge weg. Aus all diesen Gängen quoll sanftes blaues Licht hervor. Chania staunte mit offenem Mund.

 

»Mein Liebling, du musst jetzt alleine weitergehen. Du musst dich für einen der Gänge entscheiden«, brachte der Herrscher nur noch mühevoll hervor.

 

Er schien eine Art Schwächeanfall zu haben. Auch seine Frau konnte sich nur noch mühsam auf den Beinen halten und hielt sich an ihrem Mann fest. Chania stiegen Tränen in die Augen. Es war als wären ihre Eltern in kürzester Zeit um mehrere Jahre gealtert. Ihr sonst so starker Vater kam ihr in diesem Raum so klein und hilflos vor. Doch sie selbst fühlte eine merkwürdige Stärke in ihrem Inneren. Dennoch hatte sie Angst alleine weiter zu gehen und fing an zu jammern.

 

»Ich kann doch nicht alleine weitergehen, wohin soll ich gehen? Welchen Tunnel soll ich nehmen? Wohin führen die fünf Tunnel? Papa, Mama, helft mir doch! Könnt ihr nicht mitgehen?«

 

»Das geht nicht Chania. Du musst alleine gehen. Such dir den richtigen Weg aus! Nur durch dich können wir wieder gesund werden.«

 

Mit diesen Worten sank der Herrscher plötzlich in sich zusammen und ebenso seine Frau. Irgendetwas hatte beide in ihren Bann gezogen und machte sie handlungsunfähig.

 

Schwach sprach er die letzten Worte zu Chania: »Ohne dich sind wir verloren mein Kind. Du musst dich für einen der Gänge entscheiden. Du wirst in eine dir fremde Welt gelangen. Aus dieser musst du mir die Feder eines Tieres des Landes mitbringen. Diese Feder musst du dann wenn du zurückkommst in diese Kugel stecken. Ganz oben ist ein kleiner Spalt, in der du sie dann stecken musst. Wir können dich nicht weiter begleiten.«

 

Der Herrscher wirkte jetzt alt und zerbrechlich.

 

»Geh nun mein Kind und komm bald zurück, dreh dich nicht nochmal um!«

 

Dann fielen beide in einen seltsamen Schlaf und sie war alleine. Chania seufzte und betrachtete voller Liebe und Herzschmerz ihre beiden Eltern. Es half nichts, sie musste ihren Weg gehen. Schweren Herzens wählte Chania jetzt den rechten Gang. Aus diesem kam das schwächste blaue Licht und so entschied sie sich intuitiv für diesen Gang.

 

 

 

Ich erreichte soeben den weißen Raum. »Nein Chania!«, rief ich ihr noch nach. Doch es war zu spät. Ich sah gerade noch wie Chania im rechten Tunnel verschwand und von einem blauen Licht aufgesogen wurde. Mein Blick wanderten zum Herrscher und seiner Frau. Hatten sie mich bemerkt?

 

Doch beide befanden sich scheinbar in einem Trance ähnlichen Zustand und hatten nichts mehr mitbekommen. Sie lagen bewusstlos mit ausgestreckten Gliedern wie tot auf dem Boden.

 

Plötzlich fiel es mir wie Schuppen vor die Augen. Auch Vater und der Kopf durften diesen Raum nicht betreten. Es würde ihnen genauso ergehen. Es war wie mit der Wiese in der Zwischenwelt. Nur reine Seelen konnten durch diesen Raum in die Gänge gehen, alle anderen würden von ihm geschwächt werden. So musste es sein und plötzlich wusste ich, dass ich den Raum ohne Probleme betreten könne und Chania folgen konnte. Vorsichtig überschritt ich die Schwelle in den weißen Raum und blieb kurz darauf stehen.

 

Vater und Opa hatten nicht auf mich gehört und waren jetzt dicht hinter mir. Ich drehte mich um: »Papa, Opa ihr beide müsst draußen bleiben. Nur reine Seelen dürfen diesen Raum betreten. Wenn ihr versucht diesen Raum zu betreten, dann werdet ihr genauso krank werden wie der Herrscher und seine Frau. Ich werde jetzt Chania durch den rechten Tunnel folgen, und versuchen das Schlimmste zu verhindern.«

 

»Na wenn du meinst Maximus«, sagte mein Vater schweren Herzens, »wir werden hier die Stellung halten. Hier nimm noch eine Packung Spezialcreme mit, vielleicht landest du ja in einer fremden Welt, wo du sie brauchen kannst.«

 

Er wollte mir gerade die Creme reichen, als seine Hand plötzlich zurück zuckte, als er den Eingang des Raumes berührte. Es war als hätte sich eine unsichtbare Wand aufgetan.

 

»Danke Pa, aber ich brauche diese Creme schon lange nicht mehr. Sie ist mittlerweile eins mit meinem Körper. Ich muss jetzt los. Wir werden uns bestimmt wieder sehen - ich werde bald wieder da sein!«

 

Meine Worte hallten merkwürdig durch den Raum. Graf Vamus und der Kopf sahen sich verwundert an. Eigentlich war ich nur ein paar Meter von ihnen entfernt, aber es klang so als ob ich meilenweit von ihnen weg wäre. Ich ging unbeirrt weiter in den Raum, vorbei am Herrscher und seiner Frau. Dabei warf ich einen letzten Blick auf die beiden und wunderte mich noch, dass der Herrscher eine Kristallkugel in der Hand hielt. Ich konnte mit dieser Kristallkugel nichts anfangen, denn ich hatte das Gespräch zwischen dem Herrscher und seiner Tochter leider nicht mehr mitbekommen. Ich ahnte nicht, was auf mich zukommen würde. Ich wusste nur, dass ich Chania folgen musste. Wohin sie auch ging und was für Abenteuer auf mich warten würden.

 

»Chania, wo bist du nur?«, rief ich verzweifelt in Richtung des Tunnels. Doch Chania war schon zu weit vorgedrungen, sie hörte mich nicht mehr. Der blaue Tunnel brachte sie nach Australien, dem kleinsten Kontinent auf der Welt.

 

Zögernd betrat auch ich den Tunnel und wurde sogleich von einem blauen Strudel erfasst. Ich wirbelte eine Weile wie ein Staubkörnchen in einem Staubsauger umher. Dann war alles schwarz um mich herum und ich wurde bewusstlos. Das Licht wollte mich wohl noch eine Weile in diesem Tunnel festhalten.

 

 

 

Ein Kontinent mit klaren Grenzen

 

 

 

 

 

Chania erwachte. Ihr ganzer Körper fühlte sich taub an. Sie lag mit dem Gesicht im Sand und spürte einen salzigen Geschmack auf ihren Lippen.

 

Bin ich in einer Wüste - einer Steppe? Puh, der Sand ist aber heiß. Wo bin ich denn nur gelandet?

 

Sie drehte sich etwas mehr zur Seite und blinzelte kurz. Ein grelles Licht blendete sie und brannte heiß herab. Schweiß bildete sich auf ihrer Stirn. So etwas kannte sie nicht. Das hatte es in der Welt aus der sie kam nicht gegeben. Doch es machte ihr nichts aus, sie drehte sich ganz um und genoss die warmen Sonnenstrahlen auf ihrer Haut. Noch waren ihre Augen geschlossen und sie rieb sich den Sand aus den Augen. Vorsichtig blinzelte sie zuerst mit dem einen Auge und dann mit dem anderen. Das Licht war einfach zu hell für sie, deshalb hielt sie vorsichtig die Hände vor das Gesicht. Als sich ihre Augen etwas beruhigt hatten, spreizte sie die Finger und erblickte einen wunderschönen blauen Himmel. In ihrer Welt war dieser immer grau und düster gewesen. Wärme breitete sich in ihrem Herzen aus, ein wundervolles Glücksgefühl durchrieselte ihren ganzen Körper. Sie fühlte sich wie im Paradies und versuchte ihre Gedanken zu ordnen.

 

Was hatte Vater gleich wieder gesagt? Ich sollte ihm die Feder eines Tieres aus diesem Land mitbringen.

 

Sie richtete sie sich auf und betrachtete die wunderschöne Gegend in der sie sich befand.

 

»Was denn für eine Feder?«, murmelte sie und sah sich fragend um. Sie konnte sich keinen Reim darauf machen was eine Feder überhaupt war. Sie stand auf und betrachtete die Gegend um sich herum etwas detaillierter. Das Glücksgefühl in ihrem Herzen wurde noch intensiver. In der Nähe hörte sie ein Rauschen. Es klang ähnlich wie das Rauschen von Wasser, war aber ein für sie unbekanntes Geräusch. Es unterschied sich gewaltig vom kleinen Wellenrauschen ihres Tümpels wenn Wind aufkam.

 

»Das muss ich unbedingt sehen!«, dachte sich Chania und machte sich auf den Weg in Richtung des Rauschens. Und dann sah sie es. Blau, unendliches blaues Wasser glitzerte vor ihr, bis zum Horizont in der Sonne. Chania war total fasziniert davon. In der Ferne erblickte sie grau-blaue Tiere, die im Wasser schwammen und immer wieder Wasser in die Luft pusteten. Gibt es tatsächlich so etwas Schönes außerhalb meiner tristen Welt? Was will Vater nur mit dieser Welt? Was mache ich hier eigentlich?

 

Chania hatte keine Lösung dafür und verstand auch den Auftrag nicht. Ratlosigkeit machte sich in ihr breit.

 

Was hat die Feder für eine Bedeutung? Was für ein Tier soll ich suchen? Warum werden meine Eltern davon gesünder?

 

Chania schüttelte energisch ihren Kopf. Sie wollte nicht mehr daran denken, sie wollte die schöne Gegend einfach nur genießen und sog daran gierig wie ein verdurstender an einem Strohhalm. Sie entdeckte einen weißen Sandstrand. Die heißen Sandkristalle kitzelten ihre Füße. Sie blieb kurz stehen, und grub einen ihrer Füße tiefer in den Sand hinein. Es war ein sehr angenehmes Gefühl und sie genoss es in vollen Zügen. Der weiße Sandstrand ging fließend in ein großes blaues Gewässer über. Leichte Wasserwellen liefen auf den Strand zu. Die Luft roch salzig und würzig. Chania zog die herrliche Luft wie ein Blasebalg ein und streckte die Arme gegen den Himmel. Sie war glücklich und freute sich des Lebens. In Gedanken versunken schlenderte sie ziellos am Strand entlang, als sie plötzlich ein merkwürdiges Tier vor sich sah. Es war größer als sie selber und schaute Chania neugierig an. Es hatte eine Art Beutel auf dem Bauch aus dem ein kleineres Tier hervorlugte. Chania staunte nicht schlecht. Nachdem es in der Zwischenwelt keine Schule gab und Chania von ihren Eltern nicht viel gelernt hatte, wusste sie auch nicht, dass es sich hierbei um ein australisches Känguru handelte. Das Känguru ist in Australien so viel wie ein Wahrzeichen. Jeder, der an dieses Land denkt, sieht sofort Kängurus vor seinen Augen.

 

In ihrem Fall war es sogar ein rotes Riesenkänguru, das fast zwei Meter groß werden kann und in seinem Beutel war ein Babykänguru. Chania wusste gar nicht, wie viel Glück sie hatte, ein wild lebendes Känguru am Strand zu entdecken, da diese normalerweise die Angewohnheit haben, erst ab der Dämmerung oder in der Nacht auf Futtersuche zu gehen. Da sie eher ängstlich sind, ist es wichtig vorsichtig mit ihnen umzugehen, da sie, wenn sie sich bedroht fühlen, manchmal heftig reagieren können.

 

Chania hatte selber Angst und näherte sich ganz vorsichtig dem großen Tier. Das Känguru erschrak trotzdem und machte sogleich einen Satz zurück. Chania erschrak daraufhin selber und stolperte. Ganz langsam rappelte sie sich wieder hoch, streckte ihre Hand aus und versuchte das Tier zu beruhigen.

 

»Keine Angst, ich tu dir doch nichts«, sprach Chania leise und näherte sich vorsichtig dem Känguru. Das Känguru sah Chania skeptisch an, rümpfte noch einmal die Nase, drehte sich dann einfach um und hoppelte davon.

 

»Schade. So ein merkwürdiges Tier«, dachte Chania noch, »ich hätte dich gerne gestreichelt. Warum bist du nur von mir weggelaufen?«

 

Traurig blickte sie dem Tier hinterher, doch dann verwarf sie diese Gedanken wieder und ging einfach gedankenlos weiter am Strand entlang. Sie genoss einfach die Stille und den warmen Sand, der ihre Fußsohlen kitzelte. Nur das sanfte Rauschen des Meeres war zu hören. Plötzlich wurde die Stille jäh unterbrochen und sie hörte ein lautes Motorgeräusch näher kommen. Eine Gruppe Jugendlicher kam lachend mit einem kleinen offenen Jeeps daher und alle hatten sie kleine Bretter dabei, die aus dem Auto ragten. Sie hielten direkt neben Chania an und hupten erst mal kräftig.

 

»He du, wer bist du denn. Ich bin Mark. Dich haben wir hier ja noch nie gesehen!«, meinte einer der Jungs, sprang lässig aus dem Jeep heraus und posierte sich vor Chania, »wolltest du vorhin mit dem Känguru reden? »

 

»Ich bin Chania«, erwiderte diese und musterte den Jüngling interessiert, »was meinst du mit dem Känguru reden.«

 

»Du bist aber komisch«, wunderte sich Mark, »du hast doch vorhin versucht das Känguru zu streicheln.«

 

»Ach so, das meinst du. Ich wusste garnicht was ein Känguru ist.« Chania blickte ihn mit großen fragenden Augen an.

 

»Woher kommst du denn, wenn du nicht mal das Wahrzeichen Australiens kennst?«, fragte Mark skeptisch, »du bist vielleicht ein merkwürdiges Mädchen – aber ein verdammt hübsches!«

 

Dabei zwinkerte er zuerst zu seinen Freunden und dann zu Chania. Diese war etwas verwirrt darüber und zögerte. Sie konnte den Jungs doch nicht erzählen, dass sie aus der Zwischenwelt kam. Sie musste sich etwas anderes einfallen lassen.

 

Woher kommt gleich wieder Maximus?

 

»Ich äh, ich komme aus Europa«, stotterte sie unbeholfen.

 

»Europa? Sind alle Mädchen dort so hübsch wie du? Ich bin Kevin«, strahlte sie ein muskulöser Schönling an. »Magst du mit uns surfen?«

 

»Was ist denn surfen?«, fragte Chania.

 

»Na, mit den Brettern auf den Wellen reiten, was denn sonst«, meinte da ein anderer, packte sein Brett und lief mit ihm zum Wasser. Und schon paddelte er auf das Meer hinaus. Dort wartete er auf eine große Welle, stellte sich auf sein Brett und surfte ganz lässig auf dieser Welle. Das sah echt toll aus.

 

Die anderen machten es ihm nach und ließen Chania einfach am Strand stehen. Sie sah den Jungs staunend nach und war total begeistert. Langsam bekam sie auch Lust, das Surfen auszuprobieren. Sie fasste all ihren Mut zusammen und wollte gerade einen der Jungs zu fragen, ob sie sich so ein Brett ausleihen könne, als sich plötzlich ohne Vorwarnung der Himmel verfinsterte und ein fürchterlicher Sturm aufkam. Chania fing an zu zittern. Was passierte hier? Eben noch hatte sie sich wie im Paradies gefühlt und jetzt bekam sie Angst. Die Jungs bekamen davon nichts mit, denn sie schwammen immer wieder auf das Meer hinaus auf der Jagd nach einer neuen Welle. Sie genossen die hohen Wellen, denn auf denen konnte man am besten und am längsten surfen.

 

»He Jungs«, schrie Chania ins Meer hinaus, »das Wetter wird schlecht. Kommt lieber aus dem Meer raus!«

 

Doch ihre Stimme erreichte die Jungs nicht. Das Rauschen der Wellen übertönte ihre Stimme. Sie konnte nichts anderes tun als abzuwarten und setzte sich deshalb in den Sand. Ganz ohne Vorwarnung zog sich dann plötzlich das Wasser zurück. Chania traute ihren Augen nicht und rieb sich die Augen. Die Jungs, die gerade noch auf den tollsten Wellen gesurft hatten, lagen plötzlich im nassen Sand und blickten sich fragend an. Dann wurde es plötzlich so still, als ob sich eine dicke Decke über das Meer gelegt hätte. Chanias Blick wanderte zum Horizont und zuerst dachte sie an eine Sinnestäuschung. Aus dem Nichts erschien eine riesige Welle, die immer schneller und größer werdend auf die Surfer zuraste.

 

Chania sprang entsetzt auf, um besser sehen zu können. Wie gelähmt starrte sie auf die riesige Welle, die sich wie ein Gebirge hinter den Jungs aufgebäumt hatte. Sie musste mehrere Meter hoch sein und kam rasend schnell heran. Die bisherigen Wellen schienen dagegen mickrig gewesen zu sein und die Jungs auf ihren Brettern kamen ihr jetzt wie kleine Ameisen vor. Sie wollte die Jungs noch warnen und schrie auf: »Vorsicht Jungs, da kommt eine große Welle!«

 

Kevin schien etwas gehört zu haben, denn er blickte kurz auf und winkte Chania zu. Dabei erblickte er ihr entsetztes Gesicht, drehte sich kurz um und sah jetzt auch die riesige Welle auf sich zukommen. Voller Panik ergriff er sein Surfbrett und lief schreiend zum Strand. »Schnell weg hier! Ein Tsunami!«

 

Hektik – Schreie brachen aus. Die Jungs versuchten panisch zu fliehen, doch es war bereits zu spät. Die Welle hatte Kevin und die anderen Jungs bereits erreicht. Sie hatten gegen die Wassermasse keine Chancen. All ihre neuen Freunde, die vorher noch auf ihren Surfbrettern gewesen waren, wurden plötzlich unter der riesigen Welle begraben. Genau dort, wo die Jungs waren, brach die Welle und der sog spülte die Jungs wieder aufs Meer hinaus. Chania starrte ihnen mit offenem Mund nach und brachte keinen Ton mehr heraus. Quälende Unsicherheit machte sich in ihr breit. Dann kamen die Ausläufer der Welle auf sie zu und es ging alles schnell. Noch bevor Chania reagieren konnte, wurde auch sie unerwartet von den Wassermassen überrascht. Sie spürte das salzige Wasser auf ihrer Zunge. Übelkeit und ein Würgereiz quälte ihren Gaumen. Dann verschwand das Wasser genauso schnell, wie es gekommen war. Chanias neue Freunde waren einfach verschwunden und sie blieb allein am Strand zurück. Ihre Kleider trieften vor Nässe. Eine unheimliche Stille machte sich breit. Ungläubig und immer noch geschockt, sah sie, wie sich das Wasser wieder ins Meer zurückzog. Keine Spur von den Jungs.

 

Wo seid ihr denn alle? Hilfe! Ich muss Hilfe holen!

 

Chania wollte schon das nächst Dorf aufsuchen, als sie in der Ferne erneut eine noch größere Welle auf sich zukommen sah. Diese war bereit, mit voller Wucht weit ins Innere des Landes zu schwappen.

 

»Ich muss hier sofort weg!«

 

Sie lief so schnell sie konnte und versuchte zu fliehen, doch es war bereits zu spät. Nur wurde sie nicht von der Welle verschluckt, sondern sie transportierte Chania auf ihrem höchsten Punkt wie ein Surfbrett. Chania schnappte hektisch nach Luft. Erneut machte sich Übelkeit in ihr breit. Doch dieses Mal war nicht das salzige Wasser schuld daran, sondern der Gedanke an die Jungs.

 

»Hoffentlich haben die Jungs diese große Welle überlebt und sind nicht ertrunken«, dachte sie sich noch, während sie wie von Geisterhand, von der Welle in Richtung einer nahen Stadt transportiert wurde.

 

Erst kurz vor den Mauern einer Stadt ließ die Welle sie fallen und zog sich dann, als wäre nichts gewesen, ins Meer zurück. Sie hörte nur noch dumpfe, hysterische Schreie von Menschen. Es waren die Menschen der Stadt die aufschrien, als sie die herankommende große Welle sahen. So etwas hatte es bisher hier noch nie gegeben. Das Meer war doch viel zu weit weg. Und was war das für ein merkwürdiges Mädchen, das da kurz vor ihrer Haustür angeschwemmt wurde? Chania fühlte sich noch etwas benommen, als sie ein paar Kinder von der nahe gelegenen Schule auf sich zukommen sah. Sie waren teils dunkelhäutig und andere hellhäutig wie Chania. Ein braunhaariges Mädchen, etwa in ihrem Alter, half ihr aufstehen. Sie blickte sie mit großen Augen an, als wäre sie eine Außerirdische.

 

»Kommst du aus dem Meer?«, fragte das Mädchen.

 

»Bist du eine Meerjungfrau?«, ein anderes dunkelhäutiges Mädchen und nahm dabei Chanias strohblonde Haare in die Hand.

 

Ein Junge meinte: »Sie ist aber fast vom Himmel gefallen. Das muss ein Engel sein!«

 

»Wie heißt du?«, fragte sie ein dunkelhäutiger Junge mit tiefschwarzen Haaren und braunen Augen.

 

Chania starrte alle noch etwas benommen an.

 

»Ich bin Chania. Was ist denn passiert. Die Welle, eine große Welle und plötzlich waren die Jungs verschwunden«, stotterte sie und blickte sich verwirrt um.

 

»Welche Jungs?«, fragte der dunkelhäutige Junge.

 

»Na eben Jungs! Sie kamen mit einem Jeep und hatten Surfbretter dabei.«

 

»Das war bestimmt Mark mit seiner Truppe. Die schwänzen öfter mal die Schule und gehen surfen. Das gibt Ärger. Kommt mit und lasst uns nachsehen, was mit ihnen passiert ist.«

 

Chania nickte beklommen. Zusammen gingen sie zurück ans Meer. Dieses hatte sich wieder beruhigt und keine einzige Welle war zu sehen. Der Jeep stand immer noch am Strand und im Sand verstreut lagen vier Surfbretter. Doch von den Jugendlichen war weit und breit nichts zu sehen.

 

»Ich glaube sie sind alle ertrunken!«, meinte ein Mädchen, »lasst uns die Wasserwacht alarmieren, die sollen nach ihnen suchen!«

 

Eine tiefe Beklommenheit machte sich in der Gruppe breit. Ein paar fingen an zu weinen. Sie hatten ihre Freunde verloren. Auch Chania war traurig. Sie dachte natürlich nicht im Traum daran, dass ihre Anwesenheit daran schuld war. Sie wusste auch nicht, dass diese Welle an den Stränden und nahegelegenen Dörfern großen Schaden angerichtet hatte und viele Menschen unter sich begraben hatte. Das war keine normale Welle mehr gewesen, sondern ein Tsunami, eine tödliche Welle, vermutlich ausgelöst durch ein unterirdisches Seebeben. Dörfer waren zerstört worden, Ferienanlagen dem Erdboden gleich gemacht worden. Das Unheil nahm seinen Lauf, das Böse war nach Australien gekommen und wollte alles vernichten. Doch Chania ahnte nichts davon. Sie ging mit der Gruppe schweigend und traurig in die Stadt zurück, die von der Welle verschont geblieben war. Doch irgendetwas Merkwürdiges ging auch in dieser Stadt vor sich. Die Kinder und Chania wollten gerade in der Schule Bescheid geben und die Wasserwacht informieren, als ein paar Kinder erneut aufschrien. Eine noch größere Welle kam auf die Stadt zu. Doch dieses Mal machte sie nicht vor der Stadt halt. Chania wurde von ihren neuen Freunden getrennt und von dieser Welle mitgerissen. Die Welle zog so heftig an ihr, dass sie dachte sie würde zerrissen werden. Ihr ganzer Körper wurde so umhergewirbelt, dass es ihr schwindlig und schlecht wurde. Plötzlich drehte sich alles um sie herum.

 

Menschen, Tiere, Gegenstände ja ganze Häuser wurden von der Welle erfasst. Zusätzlich entwickelte sich noch eine heftige Windhose die sich mit der Welle verbündete und so das Wasser umherwirbelte. Beide zusammen vereint, zerstörten jetzt alles, was sich ihnen in den Weg stellte. Menschen, Tiere und Gebäude wirbelten gleichzeitig wild durcheinander. Chania musste hilflos dabei zusehen, wurde von einer blauen Windwelle erfasst und schwebte dann wie von Geisterhand immer weiter ins Landesinnere. Chania verließen die Kräfte, sie wurde bewusstlos und fiel in einen seltsamen Schlaf. Sie bekam nichts mehr von der Zerstörung um sie herum mit. Nach einiger Zeit legte die Windwelle sie sanft auf der Steppe ab und wurde selber von der Dürre aufgesogen. Dort fanden sie später ein paar Touristen, die ein Mädchen vom Highway aus entdeckt hatten. Diese waren mit einem Kleinbus auf dem Weg durch den Uluu-Kata Tjua National Park und wollten den Ayers Rock besichtigen. Der Busfahrer hatte den leblosen Körper neben der Straße entdeckt und hielt den Bus plötzlich an. Einige Touristen, die durch die lange Fahrt eingenickt waren, schrien entsetzt auf. Der Busfahrer packte seine Wasserflasche, stieg aus und ging zu Chania.

 

»Miss, wachen Sie doch auf!«, meinte er besorgt und rüttelte etwas an Chania und goss ihr dabei etwas Wasser auf ihre aufgesprungenen Lippen.

 

»Bitte Miss aufwachen! Sind sie tot?«, fragte er sie und rüttelte fester an ihr. Chania spürte das Wasser auf ihren Lippen, stöhnte auf und sah einen fremden Mann der sich über sie beugte. Sie stöhnte lauter auf und leckte sich die Lippen.

 

»Wasser, ich brauch mehr Wasser«, krächzte sie. Der Busfahrer hielt ihr die Flasche hin und Chania trank in hastigen Zügen. Das bewirkte wiederum einen Husten- und Würgereiz. Der Busfahrer klopfte ihr sachte auf den Rücken.

 

»Beruhige dich Miss!«

 

Mittlerweile waren noch ein paar der Touristen aus dem Bus gestiegen und eine kleine Gruppe scharrte sich neugierig um Chania.

 

»Wo bin ich, wer sind sie?«, fragte diese in die Gruppe, versuchte dabei aufzustehen, sank aber sofort wieder bewusstlos zusammen.

 

»Sie lebt, sie lebt. Kommt helft mir sie in den Bus zu tragen«, forderte der Busfahrer zwei Männer der Gruppe auf. Die drei trugen die bewusstlose Chania in den Bus. Die Kühle des klimatisierten Busses wirkte auf Chania wie ein Jungbrunnen. Sie erwachte erneut und fühlte sich schon bedeutend besser. Die Touristen starrten sie neugierig an.

 

»Wie kommen sie denn in den Nationalpark und warum lagen sie neben der Straße?«, wunderte sich ein Tourist, der ihr mit einem feuchten Lappen das Gesicht abwusch.

 

»Ich äh war an der Küste. Dann kam ein Tsunami und schleuderte mich hier her.«

 

»Mädchen das ist unmöglich, weißt du wie weit weg die Küste von hier ist? Wir sind hier in der Mitte Australiens im Northern Territory«, grinste der Busfahrer und schüttelte ungläubig den Kopf, »du hast wohl zu viel von der Australischen Sonne abbekommen, oder so etwas wie eine Amnesie. Wir nehmen dich erst einmal zum Uluu mit.«

 

»Wer oder was ist Uluu?«, fragte Chania belustigt.

 

»Da, sieh nach vorne, das ist Uluu. Der wurde 1987 ein Nationalpark und man änderte 1993 den Namen offiziell auf Uluu-Kata Tjua National Park. Jetzt gehört er zu dem UNESCO Weltkulturerbe. «

 

»Wow, ein Weltkulturerbe!«, stöhnte Chania beeindruckt. Sie wusste zwar nicht was das bedeutete, aber es klang sehr wichtig. Der Berg den sie vor sich sah, der war gigantisch und imposant und hatte eine rötliche Farbe. Der Busfahrer, der gleichzeitig der Reiseführer war, erklärte es genauer: »Was sie da vorne sehen ist Uluu oder auch Ayers Rock genannt. Diesen Felsen wollen immer wieder Touristen besteigen, doch dies ist nicht ratsam.« Der Busfahrer blickte ernst in die Runde und fuhr fort: »Die Aborigines, die Ureinwohner Australiens, sehen jede Besteigung, als eine Entweihung ihrer Vorfahren an, die dort wohnen.«

 

Ein paar der Touristen fanden diese Zweideutigkeit wohl lustig und kicherten.

 

»Das ist ja komisch, wie sollen die denn in einem Felsmassiv Vorfahren wohnen«, fragte ein Tourist belustigt und kam sich dabei toll vor.

 

Der Busfahrer, selber ein Aborigine, ignorierte diese dumme Frage, strafte den Mann aber mit einem bösen Blick und fuhr dann fort mit seiner Erklärung: »Wir Aborigines sind sehr eng mit dem Land in dem wir leben verbunden. Enteignungen, die die Weißen durchführten, haben uns nicht nur das Land, sondern auch ein großes Stück unserer Seele genommen und führten zur Entwurzelung und zum sozialen und seelischen Zerfall ganzer Stämme. Viel ist von unserer Kultur nicht mehr übrig geblieben. Aber dieser Felsen ist uns heilig und wir würden uns wünschen, die Weißen würden dies endlich auch respektieren.«

 

Die Touristen im Bus stöhnten auf, manche nickten und andere schüttelten ungläubig den Kopf.

 

»Wir werden uns später noch Höhlenmalereien bzw. Steinritzungen in den Höhlen anschauen. Sie werden dort einiges über die Welt der australischen Ureinwohner kennenlernen.«

 

»Weiß man wie alt diese Höhlenmalereien sind?«, fragte eine ältere Frau.

 

»Man schätzt dass diese Steinritzungen und Malereien bis zu 40.000 Jahre alt sind. Die Aborigines bestanden damals noch aus vielen Stämmen. Sie zählen zu den ältesten Volksstämmen auf der Erde.«

 

»Wow!«, raunte es durch den Bus. Das war vielen Neu gewesen. Chania spitzte die Ohren.

 

»Man vermutet, dass die ersten Einwanderer in der letzten Eiszeit, über die Landbrücken, von Südasien und Neuguinea, nach Australien gelangten. Sie konnten damals zu Fuß oder mit Booten diesen Kontinent erreichen, weil der Wasserspiegel noch 80 m tiefer als heute war. Laut den Forschungen wurde dann Tasmanien als erstes besiedelt.«

 

»Gibt es eigentlich noch die Tasmanier?«, fragte ein Tourist neugierig, »ich habe gelesen, dass diese damals von den Engländern nahezu ausgerottet wurden. Sie landeten in Straflagern oder starben durch Epidemien und eingeschleppte Krankheiten«

 

»Das ist richtig, 1869 starb mit William Lanne der letzte reinrassige Tasmanier, 1905 Fanny Cochrane Smith, die letzte reinrassige Tasmanierin.«

 

»Dann wurde ein Volk also ganz ausgerottet?«

 

»Das ist aber schlimm!

 

«So eine Sauerei!«

 

»Überall auf der Welt das gleiche!«

 

Im ganzen Bus redeten jetzt alle durcheinander. Die Geschichte hatte die Touristen aufgewühlt, darunter auch zwei Engländer, die sich am liebsten in das letzte Eck verkrümelt hätten.

 

Der Busfahrer schüttelte den Kopf. Immer wieder diese Reaktionen der Touristen. Mit der Vergangenheit und der Ausrottung ganzer Völker hatten viele Menschen heutzutage ihre Probleme.

 

»Hätten sie nur früher zur Kolonialzeit auch so gedacht«, dachte sich der Busfahrer, »dann wären meine Vorfahren nicht so behandelt worden und die Aborigines wären nicht so ein trauriges Volk geworden.«

 

Doch auch ohne dass er die Menschen zusätzlich aufstachelte, entbrannte eine heiße Diskussion im Bus. Chania hörte nicht mehr zu. Sie dachte nur an die armen Urvölker und die Menschen die größtenteils durch die, in den Kontinent gebrachten Krankheiten ausgerottet wurden. Sie verstand das alles nicht.

 

Der Bus hielt am Fuße des Ayers Rock an.

 

»Wir werden uns jetzt eine alte Höhle anschauen«, verkündete der Busfahrer, der gleichzeitig der Touristenführer war und nach einem kleinen Anstieg kamen sie an einer Höhle an. Ehrfürchtig betrat die Gruppe die beleuchtete Höhle und bald konnten sie die ersten Höhlenmalereien entdecken.

 

Der Busfahrer erklärte fachmännisch: »Die Aborigines glauben, dass das Land in der Dreamtime von einem oder von mehreren höheren Wesen erschaffen wurde. Einen kultischen Mittelpunkt bilden heute vor allem noch Felsbilder wie im Northern Territory. Auf ihnen werden Mythen und Legenden überliefert. Als dann die Weißen ins Land kamen, versuchte man durch Missionare, den Aborigines den christlichen Glauben aufzuzwingen. Viele nahmen diesen auch an. Aber wahrscheinlich legten sie ihren alten Glauben nie ganz ab.«

 

Chania konnte nicht viel erkennen, doch sie glaubte auf einem der Bilder fliegende Füchse zu sehen.

 

Wie kamen die denn da hin?

 

»Sind das fliegende Füchse?«, fragte sie deshalb den Führer neugierig.

 

»Gut erkannt kleine Lady«, staunte der Führer, »das waren die Gagadju von denen diese Malereien sind und diese glaubten, dass ihre Nahrungsquellen üppig sprudeln würden, wenn sie rituelle Zeichnungen von fliegenden Füchsen in die Wände bestimmter Felsen ritzten. Dadurch sollte die Kraft des Schöpferwesens auf sie übergehen und sie können Jagdglück erwarten oder auch den reichlichen Fund von nahrhaften Wurzeln und Pflanzen.«

 

»Das ist ja komisch«, murmelte Chania nachdenklich, »und warum malten sie ausgerechnet Füchse?«

 

»Jeder Gagadju hatte mehrere Totems, die zu seinem Teil der Traumzeit gehören. Dies waren Tiere oder Pflanzen. Sie glaubten, dass sie Nachfahren des gleichen Geistes wären und dass sie etwas von der Lebens-Essenz dieses Tieres besitzen.«

 

Die Gruppe stöhnte erneut interessiert auf.

 

Der Führer erklärte weiter: »So glaubte ein Gagadju, der zum Traum vom Känguru gehörte, dass er ein Känguru würde, wenn er sich während einer Zeremonie ein Bild eines Kängurus auf den Körper malte. Während seines Lebens wurde er so zu einem engen Verwandten des Kängurus und konnte deshalb kein Känguru töten oder essen. Er glaubte, dass ihn Kängurus zu guten Jagdgründen führen oder ihn vor Gefahr warnen würden.«

 

»Essen die Aborigines alle kein Kängurufleisch?«, fragte eine Touristin interessiert.

 

»Natürlich nicht, dieses Tier ist für uns heilig«, antwortete der Führer nur knapp und drehte sich empört weg.

 

Chania hatte genügend gesehen und entfernte sich schnell von der Gruppe. Sie bekam irgendwie keine Luft mehr. Die Geschichten über die Vorfahren raubten ihr den Atem. Schnell eilte sie zum Ausgang zu. Dort traf sie auf ein paar Aborigines, die scheinbar auf sie gewartet hatten und die sie aufforderten mitzukommen. Zögernd ließ sich Chania von ihnen zu einem alten Medizinmann führen, der sie skeptisch betrachtete. Er hatte Zeichnungen mit weißer Farbe am ganzen Körper. Es war als würde er sich durch diese reine Farbe schützen wollen. Als die Aborigines mit Chania ankamen, wurde sein Gesicht hart und sein ganzer Körper begann zu beben.

 

»Devil«, sagte er mit einem angsterfüllten Gesicht und deutete auf Chania. Sie wusste nicht was er damit meinte, doch es hatte bestimmt nichts Gutes zu bedeuten. Deshalb schüttelte sie energisch den Kopf.

 

»Nein, ich bin ein Freund!«

 

Doch der Medizinmann wich entsetzt von ihr zurück. Er sah in ihr etwas, was die anderen nicht sehen konnten. Für ihn war Chania die Überbringerin des Bösen, Satans Werkzeug. Er stimmte einen merkwürdigen Gesang und Tanz an und fuchtelte vor ihrem Kopf mit einer Keule herum. Es war als würde er böse Geister vertreiben wollen. Doch der böse Geist des Herrschers der Zwischenwelt, der mit Chania nach Australien gekommen war, lies sich nicht durch uralte Riten eines Medizinmannes vertreiben. Ganz im Gegenteil. Der Herrscher der Zwischenwelt spürte in diesem Moment einen heftigen Widerstand und so ging er auf Angriff. Wie aus dem Nichts kamen dunkle Wolken, die sich aneinander schoben und den Himmel verdunkelten. Ein lauter Donner hallte durch das Gebirge, ein Blitz schlug in den Ayers Rock ein. Die Aborigines, voran der Medizinmann stoben entsetzt mit wildem Geschrei auseinander. Ein Junge ihres Alters packte sie an der Hand und zog sie weg. Es war als rannte er um sein Leben. Chania lief keuchend mit ihm mit. Hinter ihnen bröckelten die Felsen ab, es krachte gewaltig und große Gesteinsbrocken verschütteten den Ausgang aus der Höhle. Die ganze Gruppe von Chania wurde bei lebendigem Leib verschüttet. Entsetzte Schreie drangen aus der Höhle, die aber bald dumpfer wurden und alsbald verstummten. Chania und der Junge rannten weiter um ihr Leben, weg von diesem unheimlichen Berg. Ein heftiger Wind kam auf und trennte die beiden. Der Junge versuchte noch Chania festzuhalten, doch er wurde von ihr weggerissen und verschwand im Nu. Der Wind packte Chania und nahm sie mit auf seine Reise durch den ganzen Kontinent. Er wurde zu einem Tornado und verwüstete ganze Landstriche. Das Mädchen bekam davon nichts mehr mit, da sie im »Auge« des Tornados in einem Zustand von Trance durch das Land schwebte. Es war wie in einem Albtraum und genauso unwirklich passierte das alles. Sie konnte nicht wissen, dass sie schon allein durch ihre Anwesenheit das Böse auf den Kontinent Australien gebracht hatte. Dann entstand eine richtige Kettenreaktion. Menschen, Städte, Dörfer und ganze Landstriche wurden systematisch vernichtet. Die überlebenden Menschen wurden so böse, dass sie sich gegenseitig schlecht machten, angriffen oder gar töteten. Das Böse breitete sich in Windeseile aus. Dann plötzlich ließ der Wind nach und ließ Chania fallen. Als sie wieder klar denken konnte, wusste sie nicht mehr ob sie das alles geträumt hatte, doch es war so real gewesen. Ihr ganzer Körper fing an zu zittern.

 

»Vielleicht muss ich nur diese komische Feder finden, dann hört das Ganze auf!«, dachte Chania gerade, als ein großer Vogel vor ihr stand.

 

Sie wusste nicht, dass es sich hierbei um einen Vogel Strauß handelte. Ein Vogel mit sehr großen Federn. Der Vogel schaute Chania entsetzt, mitleidig und zuletzt wütend an und plötzlich sauste er davon. Zurück blieb eine Feder.

 

Das musste die Feder sein, von der mein Vater gesprochen hatte. Jetzt würde alles aufhören.

 

Chania war immer noch überzeugt davon, Gutes zu tun. Sie dachte nicht im Geringsten daran, dass es ihr Vater war, der das Böse in diesem Land durch ihre Anwesenheit säte. Von wegen die Feder würde alles beenden, ganz im Gegenteil. Wenn der Herrscher erst im Besitz dieser Feder wäre, hätte er schon fast gewonnen. Es war zwar erst der kleinste Kontinent, aber immerhin ein Anfang. Hätte sich Chania zum Beispiel Europa ausgesucht, dann wäre das Böse bedeutend schneller auf die ganze Welt gekommen. Aber Australien war ein abgeschiedener Kontinent und das Böse würde auf diesen Kontinent begrenzt bleiben und würde sich nicht weiter ausbreiten können.

 

Die Kraft des Bösen bekam auch ich zu spüren. Das blaue Licht im Tunnel, war für mich endlos gewesen und es war einige Zeit vergangen, bis es mich endlich in den Kontinent brachte. Doch ich traf nicht Chania, sondern nur schlechte Menschen, die sich gegenseitig bekriegten. Ein ganzer Kontinent war im Nu mit dem Bösen infiziert. Das Gute war einfach vom Erdboden verschwunden. Zurück blieben nur die bösen Menschen, die bereit waren sich mit der schwarzen Armee des Herrschers zu verbinden. Mich beschlich eine unheimliche Ahnung.

 

»Ich muss Chania finden, bevor es zu spät ist!«, dachte ich, entsetzt über alles was hier passiert war.

 

Ich suchte überall nach ihr in diesem weiten großen Land und traf irgendwann auf einen alten Mann. Er war wohl ein Ureinwohner dieses Landes, denn er war nicht normal gekleidet wie die andern die er bisher getroffen hatte. Er trug einen Lendenschurz, hatte eine merkwürdige Bemalung im Gesicht und einen Speer dabei.

 

»Wer bist du, und wo bin ich hier?«, fragte ich diesen Eingeborenen.

 

»Io Maschito Aborigines! Australien Kontinent!«

 

Der alte Mann sprach wohl nicht meine Sprache.

 

»Devil in Australien!« Er schaute mich jetzt ganz verwirrt und entsetzt an. Das Böse hatte ihn wohl verschont den armen Irren. Devil, damit meinte er wohl den Teufel. Ich hatte schon in der Schule von den Aborigines gehört, das waren die Ureinwohner Australiens. Ich war also in Australien gelandet.

 

»Hast du ein kleines Mädchen mit blonden Haaren gesehen? Bambini, Mädchen?«

 

Ich deutete ihm ihre Größe mit den Händen an, dann auf meine Haare und zeigte dann auf die Sonne. Das sollte bedeuten ein kleines Mädchen mit blonden Haaren. Der Aborigines lächelte geistesabwesend, zeigte mir seine Zahnlücken und deutete auf das nächste Dorf. »Chaos«, meinte er dabei und Furcht und Entsetzen stand in seinen Augen.

 

»Danke alte Mann! Ich werde Australien retten!«

 

Mit diesen Worten wandte ich mich ab von dem Mann. Dieser schaute mir noch mit hohlen Augen nach. Seine Seele begann sich langsam zu verändern. Um schneller dort zu sein, verwandelte ich mich schließlich in eine Fledermaus und flog so schnell ich konnte zu dem Dorf. Dort angekommen sah ich schon die Menschen wild durcheinander laufen.

 

»Chania wo bist du?«, schrie ich panisch in die aufgebrachte Menge, nachdem ich mich wieder zurückverwandelt hatte. Wo bist du nur Chania?

 

Diese hatte sich mittlerweile auf einen Hügel zurückgezogen und betrachtete nachdenklich die Straußenfeder. So etwas Schönes hatte sie noch nie in der Hand gehabt. Und so schön weich. Erschöpft fiel sie in einen Schlaf. So fand ich sie ein wenig später. Ein Engel mit einer Feder in der Hand träumend und schlafend. Ich betrachtete sie nachdenklich.

 

» Was hast du nur getan! Du weißt nicht was du angerichtet hast. Dein Vater hat dich nur benutzt. Du hast das Böse nach Australien gebracht«, sprach ich eigentlich mehr zu mir selber, doch Chania erwachte davon und rieb sich die Augen.

 

»Maximus? Was tust du denn hier? Was redest du denn da für einen Unsinn über meinen Vater. Hast du etwas damit zu tun, dass hier alle Böse werden?«

 

»Wie kannst du das nur denken Chania. Du selber hast das Böse nach Australien gebracht.«

 

Chania funkelte mich böse an.

 

»Wie kannst du nur so etwas behaupten!«

 

Ich erzählte ihr von den Plänen ihres Vaters die Erde zu erobern.

 

»Ich glaube dir kein Wort, du lügst doch! Ich muss hier weg! Mein Vater benötigt die Feder um wieder gesund zu werden!«

 

Chania sprang plötzlich auf und rannte mit der Feder in der Hand von mir weg. Während sie lief, wurde sie plötzlich von einem blauen Wirbel erfasst und aufgesogen. Und dann war sie einfach verschwunden. Die Feder war wohl der Schlüssel für ihre Rückkehr gewesen und sie hatte das Vertrauen an ihren Vater trotz der Ereignisse nicht verloren. Sie liebte ihn immer noch genauso wie vorher, wie eine Tochter ihren Vater liebt. Dies machte sie blind für alles andere. Ich schaute ihr entsetzt nach. Was war denn jetzt wieder passiert? Warum wurde Chania jetzt von dem blauen Wirbel zurückgebracht und ich blieb weiterhin in Australien? Wie würde ich denn jetzt wieder zurück in die Zwischenwelt kommen? Ich seufzte leise. An meine Rückkehr hatte ich gar nicht gedacht. Jetzt war ich alleine in diesem Kontinent gefangen. Warum konnte Chania genau in diesem Augenblick zurück in die Zwischenwelt gelangen? Hatte es damit zu tun was sie gesagt hatte? Ich überlegte fieberhaft. Wenn dies tatsächlich so wäre, dann müsste es für mich doch auch einen Weg zurück geben.

 

 

 

Chania landete unsanft im weißen Raum und fand ihre Eltern schlafend vor. Sie schliefen so tief und fest, dass sie die Ankunft ihrer Tochter nicht bemerkten. Auch als Chania sie wachrüttelte, reagierten sie nicht. Die Glaskugel in der Hand ihres Vaters begann plötzlich zu leuchten. Sie nahm sie in die Hand und konnte durch sie Australien und somit auch Maximus sehen, der immer noch grübelnd auf dem Hügel saß.

 

Chania bekam Mitleid mit ihm.

 

»Armer Maximus, warum musst du auch immer so böse Dinge über meinen Papa sagen«, sprach sie durch die Kugel hindurch und seufzte, »was hat Vater gleich wieder gesagt? Ach ja, die Feder in diesen kleinen Spalt der Kugel stecken.«

 

Chania nahm die Feder und steckte sie in den kleinen Spalt. Plötzlich begann die Kugel feuerrot zu leuchten und wurde heiß. Sie ließ vor Schreck die Kugel fallen. Doch diese fiel nicht auf den Boden, sondern begann im Raum zu schweben. Wie ein kleiner Feuerball begann sie aufzusteigen und blieb etwa in der Mitte des Raumes stehen. Ein Teil des Raumes war jetzt nicht mehr in weißes, sondern in rotes Licht getaucht. In diesem Moment erwachten der Herrscher und seine Frau und es schien ihnen kurzzeitig besser zu gehen.

 

»Danke mein Liebling, du hast uns eine Feder mitgebracht. Sieh nur es wirkt, es geht mir schon besser!«

 

Der Herrscher versuchte aufzustehen, schaffte es aber immer noch nicht.

 

»Wenn du mich liebst, musst du dir einen weiteren Gang aussuchen und mir erneut eine Feder bringen, bis ich alle Federn aus allen fünf Kontinenten habe. Dann erst werden deine Mutter und ich wieder ganz gesund werden!«

 

»Ich kann nicht, es war schrecklich in diesem Kontinent. Es sind so schreckliche Dinge vorgefallen.«

 

Aus Chania sprudelten die schrecklichen Erlebnisse nur so hinaus.

 

»Das hat nichts mit dir zu tun mein Liebling«, versuchte die Frau des Herrschers Chania zu beschwichtigen.

 

»Deine Mutter hat Recht. Es gibt jetzt kein Zurück mehr. Wenn du uns helfen willst, brauchen wir noch die Federn aus den anderen Kontinenten. Nur so können wir beide wieder ganz gesund werden.«

 

Der Herrscher und seine Frau sackten erneut zusammen. Chania blieb keine Wahl. Sie musste sich erneut auf den Weg machen. Dieses Mal suchte sie sich den Gang mit dem stärksten Licht aus. Es war der ganz linke. Während Chania die Feder in die Kugel gesteckt hatte, veränderte sich Australien . Alle Flüsse und angrenzende Wasser im Kontinent wurden plötzlich blutrot. Die Menschen und Lebewesen die noch übrig waren fühlten sich, als würden sie plötzlich in der Hölle leben. Es war tatsächlich die Hölle auf Erden. Auch der Sand Australiens färbte sich feuerrot.

 

 

 

Ich hatte gegen all das nichts unternehmen können und musste hilflos zusehen, bevor mich Chania rettete. Als sie mich durch die Kugel gesehen hatte und Mitleid bekommen hatte, war das blaue Licht erneut auf den Kontinent gekommen. Ich wurde erneut wie von einem Staubsauger aufgesogen und schoss dann mit so einer Wucht durch den Tunnel in den weißen Raum, dass ich sehr unsanft landete. Ich sah gerade noch aus dem Blickwinkel, wie Chania im linken Tunnel verschwand.

 

» Chania warte! Warum wartest du nicht auf mich?« schrie ich ihr verzweifelt nach. Dabei fiel mein Blick in Richtung Decke. Noch etwas benommen sah ich auf halber Höhe die Kugel oben schweben. Sie war blutrot, drehte sich und auch die Feder sah aus, als wäre sie in Blut getränkt worden. Im Umkreis der Kugel war außerdem roter Rauch zu erkennen. Ungläubig starrte ich auf die Szene, die sich mir bot. Ein Teil des Raumes war jetzt in rotes Licht getaucht.

 

»Maximus komm her!«, rief mir mein Vater zu, der immer noch vor dem Raum auf mich gewartet hatte. Schweren Schrittes und mit gesenktem Kopf ging ich zu ihm und sah auch den Kopf neben ihm. Ich blieb kurz vorm Ende des weißen Raumes stehen.

 

»Maximus was ist los mit dir. Wie siehst du denn aus. Was hast du nur alles erlebt mein Junge?«, fragte mich der Kopf mitleidig. Mein Vater versuchte nach mir zu greifen, was natürlich unmöglich war. Er wollte mich wohl aus dem Raum ziehen und umarmen.

 

So ein Mist!“, schimpfte er. Ich musste zu ihm. Merkwürdigerweise konnte ich den weißen Raum verlassen und umarmte überglücklich meinen Vater.

 

»Ihr werdet es mir nicht glauben. Ich war in Australien. Ich habe mit einem echten Aborigines geredet!«, sprudelte es aus mir heraus, »ich weiß nicht genau was passiert ist, aber Australien ist vom Bösen erfasst worden. Als mich das blaue Licht vorhin zurückgeholt hat, wurde Australien in Blut getränkt. Ohne Chania wäre ich dort wohl immer noch.«

 

Ich erzählte ihnen alles was ich erlebt hatte.

 

»Das klingt aber nicht gut. Merkt denn Chania nicht, wie sie von ihren Eltern als Medium benutzt wird um das Böse auf die Welt zu bringen?«

 

Mein Vater war jetzt richtig schön sauer auf den Herrscher. »Dieser Drecksack nutzt die Liebe seiner Tochter aus. Und dieses reine Wesen kann sich die Grausamkeiten ihres Vaters nicht im Entferntesten vorstellen. Durch ihre Unschuld konnte sie schon die Grausamkeiten ihres Vaters in der Zwischenwelt nicht erkennen!«

 

»Ich weiß Papa, darum konnte sie wahrscheinlich auch vor mir zu euch zurück. Sie glaubt mir nicht, dass ihr Vater das Böse in die Welt bringt. Ich bin schon gespannt, wo ich als nächstes landen werde. Chania ist ja schon auf dem Weg dorthin. Wahrscheinlich ist es besser ich folge ihr jetzt gleich!«

 

Mein Vater wollte noch etwas einwenden, doch ich schüttelte nur den Kopf. Schnellen Schrittes und ohne weitere Worte betrat ich erneut den weißen Raum. Nachdenklich blickte ich auf den Teil des Raumes, der mittlerweile in blutrotes Licht getaucht war.

 

Was würde passieren, wenn der ganze Raum rot ist? Wäre die Welt dann für immer verloren?

 

Wie auch immer, ich musste das unbedingt verhindern. Ich ging vorbei am Herrscher und seiner Frau, die seit Chania im Tunnel verschwunden war, wieder ganz apathisch geworden waren.

 

»Ich werde verhindern, dass du meine Welt kaputt machst”, drohte ich dem Herrscher und warf ihm dabei einen verächtlichen Blick zu. »Das wirst du schon noch sehen. Ich werde stattdessen deine blöde Zwischenwelt zerstören. Das Böse soll ein Ende haben. Es genügt schon, dass es eine Hölle mit einem Teufel gibt. Die Welt kann auf dich verzichten!«

 

Welchen Tunnel nehme ich jetzt nur?

 

Nimm den mit dem stärksten Licht“, rief mir Opa zu.

 

Ich wählte also den Tunnel mit dem stärksten Licht und wurde kaum dass ich ihn betreten hatte, mit so einer Wucht vom blauen Licht des Tunnels aufgesogen, dass es mir ganz schwindlig wurde und ich bewusstlos wurde. Ich fühlte mich herumgeschleudert und erwachte erst wieder in der Mitte eines großen Feldes. Meine Kleidung fühlte sich ganz nass und klebrig an. Ich schluckte Wasser und musste husten. Meine Beine drohten zu versinken. Ich hob ein Bein nach dem anderen hoch und legte mich auf die Seite. Jetzt konnte sich mein Gewicht besser in dieser Nässe verteilen. Dennoch begann sich die Nässe bereits im ganzen Körper auszubreiten und ich sog sie wie ein Schwamm auf. Die Pflanzen die hier hoch wuchsen, hielten dennoch mein Gewicht. Etwas sicherer geworden blickte ich mir jetzt meine Umgebung etwas näher an.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Der große gelbe Kontinent

 

 

 

 

 

»Wo bin ich denn jetzt wieder gelandet?«, dachte ich erstaunt, »was ist denn das überhaupt?«

 

Ich erblickte grüne Halme, die mitten im Wasser wuchsen. Da fiel es mir wieder ein. Das mussten Reisfelder sein. Ich hatte so etwas schon mal im Fernsehen gesehen. Reisfelder brauchten sehr viel Wasser zum Wachsen. Komisch eigentlich, denn Reis an sich war ja eher eine trockene Angelegenheit. Bei diesem komischen Gedanken musste ich grinsen. Ein Mann in Sichtnähe war gerade damit beschäftigt, die Reisähren zu ernten und grinste mich an.

 

»Warum grinst mich dieser komische Typ denn an?«

 

Während ich noch rätselte, wo ich genau gelandet war, kamen lachende Menschen mit großen Strohhüten auf mich zu.

 

»Quan zi sa! Ho, ho ho!«

 

Sie deuteten nach oben und dann auf ihn. In ihren Augen war ich wohl vom Himmel hinunter gefallen. Lachten mich diese lustigen Menschen etwa aus?

 

Als sie näher kamen, betrachtete ich sie etwas genauer. Sie sahen seltsam aus, hatten etwas gelbliche Gesichter und seltsame Augen. Nicht so Augen wie ich sie bisher gekannt hatte, sondern diese verliefen wie ein Schlitz nach außen. Diese lachenden Menschen kämpften sich immer weiter zu mir durch und hoben mich dann aus dem Reisfeld heraus. Dabei lächelten sie mir immer wieder zu und verbeugten sich vor mir.

 

Ich lächelte zurück. Jetzt war mir alles klar.

 

»Ich weiß es, ich bin in China. Ihr seid Chinesen!«

 

»Shi! Chinesen! Hö Hö Hö!«, lachten diese zurück.

 

Das war schon ein lustiges Volk. Sie trugen mich wie eine Trophäe singend in ihr Dorf. Dort wechselten sie meine Kleider und gaben mir einen Kimono zum Anziehen. Meine Kleidung wurde gewaschen und auf einer Wäscheleine getrocknet. Dann bat man mich mit einer Geste Platz zu nehmen und servierten mir – na was denn wohl? Ja natürlich einen Reis mit irgendwelchem Gemüse in Sauce. Diese Art von Gerichten war ich nicht gewohnt, aber es wurde mir ganz anders.

 

Es war dieser süß säuerliche Geschmack der roten Sauce. Sie erinnerte mich irgendwie an Blut. Das hatte ich schon lange nicht mehr getrunken. Irgendwie fühlte ich mich seit langem schon nicht mehr wie ein richtiger Vampir. Das lag wohl an der Spezialcreme, die mit meinem Körper eins geworden war. Ich fuhr mir mit der Zunge genüsslich über die Lippen und bekam unheimliche Gelüste auf frisches Blut. Doch ich konnte mich unmöglich an diesen gastfreundlichen Chinesen, die mir jetzt sogar noch eine Matratze zum Ausruhen anboten, vergreifen. Menschen sind für mich nun mal tabu. Ich nahm dankend den Schlafplatz an, denn die Reise durch den blauen Tunnel war sehr anstrengend und ermüdend gewesen. Müde fiel ich auf die Matratze und schlief sofort ein. Doch in dieser Nacht träumte ich ganz schlecht. Ich träumte davon, dass über die ganze Welt das Böse gekommen war. Die Menschen waren entweder bösartig geworden, oder das Böse hatte sie verschluckt. Sie waren einfach nicht mehr da. Und dann kam die Invasion aus der Zwischenwelt. Die Köpfe aus den Feldern verschafften sich durch das aufgetane Loch zur Welt einfach die Körper der guten Menschen. Und in meinem Traum wollte plötzlich ein Kopf den Körper meiner geliebten Schwester Vanillia. Ich wollte ihn gerade davon abhalten, doch es war schon zu spät und plötzlich wachte ich schweißgebadet auf.

 

Da ahnte ich, dass der Traum Wirklichkeit werden könnte. Ich durfte mich nicht ausruhen. Ich musste doch Chania finden, musste sie überzeugen und davon abhalten die Welt zu infizieren.

 

»Ich muss mich gleich auf die Socken machen!«, dachte ich, »aber zuerst – ich habe solch wahnsinnige Gelüste nach frischem Blut. Ich muss unbedingt ein Tier finden und es aussaugen. Nur frisch gestärkt kann ich die Welt retten!«

 

Doch was gab es eigentlich für Tiere in China? Ich sah mich in dem Dorf etwas um, und bemerkte ein paar Hühner. Naja, von einem Huhn, das würde nichts bringen. Ich hatte doch mal in der Schule gehört, dass es in China so viele herumstreunende Katzen und Hunde gäbe. Diese Tiere werden dort nicht nur abgeschlachtet, sondern auch gegessen. Aber ich konnte doch keinen Hund aussaugen! Plötzlich musste ich an meinen kleinen Hund Reggie denken und wurde dabei ganz traurig. Wie es ihm, meiner kleinen Schwester und Mami gehen würde? Ich hatte so Heimweh nach Ihnen.

 

Reiß dich zusammen! Dafür ist jetzt keine Zeit! Ich muss die Welt meiner Familie retten!“, flüsterte ich dem Nachthimmel zu. gleichzeitig verwandelte ich mich in eine Fledermaus, saugte dann doch noch schnell ein Huhn aus und flog frisch gestärkt in die dunkle Nacht hinaus. Wie sollte ich in diesem großen Land nur Chania finden? Wo war ich denn hier nur gelandet?

 

 

 

Chania war es ähnlich wie Maximus ergangen, nur war sie ziemlich hart auf einem normalen Feld gelandet und hatte dort auf im Feld arbeitende Chinesen getroffen. Diese hatten gedacht, dass ein Engel vom Himmel gefallen sei. Naja, ausgesehen hatte sie wie ein Engel, sie selbst war ja auch so was wie ein Engel. Aber das was mit ihr gereist war – das war der Tod für diese armen Bauern. Sobald Chania gelandet war, verfärbte sich das Feld schwarz und alles was vorher geblüht hatte war verdorrt, als ob das Feld abgebrannt worden wäre. Und die Menschen, die armen hart arbeitenden Bauern – die waren plötzlich verschwunden. Einfach ins Nichts. »Das gibt es doch gar nicht!«, überlegte Chania und fing an zu weinen. »Sollte Maximus doch Recht haben? Bringe ich Unglück und das Böse auf die Erde?«

 

Chania konnte es immer noch nicht glauben. Es konnte schon gar nicht ihr Vater etwas damit zu tun haben. Es war bestimmt nur Zufall gewesen. Vielleicht hatte sie sich die Menschen nur eingebildet und das Feld war vorher schon verbrannt. Vielleicht hatte sie sich beim Aufprall auf die Erde den Kopf gestoßen und hatte sich das bloß eingebildet. Aber in einem Punkt war sie sich ganz sicher. Sie hatte diese Art von Menschen noch niemals gesehen. Und die Augen die die hatten – ganz komisch, wie kleine Schlitze. Und auch die Kopfform. Sehr ungewöhnlich. Wenn Chania ein Wesen der Zwischenwelt gewesen wäre, hätte sie diese Kopfformen auch auf den Feldern gesehen. Aber für Chania war dieser Teil der Zwischenwelt nicht sichtbar gewesen. Dafür war ihre Seele zu rein gewesen. Sie wusste also gar nicht, dass dies Chinesen waren und sie sich in China befand. Und China war so ungefähr das Zentrum des nächsten Kontinents, nämlich Asiens, den das Böse befallen würde. Von dort war es ein leichtes, auch die anderen Länder dieses Kontinents, mit dem Bösen anzustecken. Im Norden später die Mongolei und Russland, im Süden Thailand bis Indonesien. Im Westen würde es sich ausbreiten nach Indien und im Osten in Richtung Japan. Chania verließ das trostlose Feld und ging noch eine Weile den Weg entlang, als sie bemerkte, dass sie sehr müde wurde und dass es bereits dunkel wurde. Sie legte sich auf eine Wiese, denn sie liebte ja Wiesen, träumte vor sich hin und schlief ein. Auch Chania hatte einen seltsamen Traum. Sie träumte von Maximus, wie dieser ihr nachgereist war und sie träumte, dass dieser träumte. So träumte sie auf seltsame Weise den gleichen Traum wie Maximus und war danach genauso entsetzt wie er.

 

Was war das nur für ein seltsamer Traum gewesen?

 

Sie rieb sich die Augen und fühlte sich Maximus nah. Es war immer noch Nacht und die Sterne standen am Himmel. Sie blickte sehnsüchtig in den Himmel hinein und sah plötzlich etwas Schwarzes auf sie zufliegen. In Panik sprang sie auf und rannte so schnell sie konnte weg. Nachdem es Nacht war und sie kaum sehen konnte, stolperte sie über eine Wurzel und blieb bewusstlos liegen.

 

Sie konnte ja nicht wissen, dass ich es war, der als Fledermaus verwandelt, auf der Suche nach ihr war. Chania war vor Schreck über die Wurzel gestolpert und auf den Kopf gefallen. Ich hatte sie doch nicht erschrecken wollen! Bewusstlos wie sie war, konnte ich sie nicht wieder aufwecken.

 

»Was soll ich denn jetzt tun mit dir?«, fragte ich sie verzweifelt als ich mich wieder zurück verwandelt hatte. Dabei berührte ich sacht ihren schlappen, aber noch lebendigen Körper. Ich tastete einen flachen Puls. »Was habe ich nur getan. Hoffentlich bist du nicht schlimmer verletzt!«, überlegte ich.

 

Ich drehte sie vorsichtig auf die Seite und legte mich neben sie hin. Dabei spürte ich spürte ihren flachen Atem auf meiner Brust. Beruhigt schlief ich so neben ihr ein und wartete den nächsten Morgen ab. Das war wohl auch das Beste gewesen. Dieses Mädchen war mir so vertraut, dass es mir nur natürlich war, dass sie in meinen Armen schlief. Eng umschlungen schliefen wir so ein, bis der nächste Morgen kam.

 

Chania wachte als Erste auf. Ein streunender Hund hatte sie beschnuppert und ihr das Gesicht abgeleckt. Zu ihrem Erstaunen merkte sie, dass sich jemand an sie heran gekuschelt hatte. Entsetzt fuhr sie hoch und blickte in meine verdatterten Augen.

 

»Maximus, was machst du denn hier. Was ist denn schon wieder passiert?«

 

Verlegen senkte ich den Kopf.

 

»Hallo Chania. Ich äh – du bist gestern Abend über eine Wurzel gestolpert und warst dann bewusstlos! Nachdem es bereits dunkel wurde, habe ich mich zu dir gelegt, um äh – dich zu wärmen!«

 

»Wie willst du mich denn wärmen du Eiszapfen! Und wie kommst du überhaupt hier in dieses Land?«

 

»Es tut mir leid Chania, ich wollte dir nicht zu nahe treten«, meinte ich schüchtern. Chania starrte mich an.

 

»Hast du auch gesehen, was hier für komische gelbhäutige Menschen herumlaufen mit Schlitzaugen? Sie tragen alle so runde komische Hüte.«

 

Chania deutete mit den Händen die Form der Hüte an. Ich nickte nur und fing an zu erzählen.

 

»Nachdem du in Australien plötzlich weg warst, hat sich die Welt dort drastisch verändert. Der Himmel wurde feuerrot und die Menschen verschwanden entweder oder sie wurden böse. Ich hatte fürchterliche Angst. Und dann tat sich plötzlich für mich ein blaues Licht auf und ich landete wieder in dem weißen Raum. Dort sah ich dann gerade noch, wie du wieder in einen der Tunnel verschwunden bist. Weißt du vielleicht. wie ich es geschafft habe, Australien zu verlassen?«

 

»Ich glaube nicht - das einzige was ich nach meiner Rückkehr gemacht habe, war die Feder in die Glaskugel zu stecken. Und in dieser Glaskugel sah ich dich in rot getauchtes Licht. In diesem Moment hast du mir sehr leidgetan und ich habe mir gewünscht du wärst bei mir.« Chania lief etwas rot an, als sie das sagte und blickte verlegen zu Boden.

 

»Vielleicht hast du mich ja doch gerettet!«, freute ich mich aufgeregt, »das kann doch sein, oder? Auf alle Fälle wäre es eine Erklärung, warum das blaue Licht mich gerettet hat. Vielleicht war es aber auch Vanillia oder meine Mutter. Kann ja sein, dass sie in diesem Augenblick mit dem Vamuraibuch gesprochen haben und mich das Buch dann gerettet hat!«

 

»Wie soll dich denn ein Buch retten?«, fragte Chania und blickte mich skeptisch und ungläubig an.

 

»Ach ja, du weißt ja gar nichts von dem Vamuraibuch. Durch das Buch konnte ich in die Zwischenwelt gelangen, sonst hätten wir uns nie kennen gelernt!«, erklärte ich froh und himmelte sie dabei verstohlen an. Ich glaube ich hatte mich in Chania verliebt.

 

Doch Chania war in Gedanken und mit ihrer Mission beschäftigt, dass sie diesen Blick nicht bemerkte.

 

»Ich muss aus diesem Land noch eine Feder mitbringen! Glaubst du, dass eine Hühnerfeder reichen würde?«

 

»Ich weiß nicht so recht!«, erwiderte ich und überlegte laut weiter, »du solltest deinem Vater lieber keine Fe

 

 

 

der mehr mitbringen. Hast du nicht gesehen, wie sich die Kugel rot gefärbt hat und den weißen Raum rot gefärbt hat. Das verheißt bestimmt nichts Gutes. Rot ist doch die Farbe des Blutes - des Teufels - des Unglücks.«

 

Dabei zuckte ich kurz zusammen und sagte dann sehr bestimmt zu Chania: »Du darfst deinem Vater keine Feder mehr mitbringen. Sonst wird auch über dieses Land oder diesen Kontinent das Unglück, das Böse kommen. Geh wieder zurück Chania. Wir dürfen nicht weitergehen!«

 

»Du hast meinen Vater nicht gesehen! Er braucht die Feder für seine Kugel. Es geht ihm nicht gut und meiner Mutter auch nicht. Ich möchte nicht, dass sie sterben. Ich habe doch nur meine Eltern. Sie sind mein ein und alles!« Chania fing an bitterlich zu weinen.

 

Ich bekam ein schlechtes Gewissen. »So äh, war das doch nicht gemeint. Du hast doch auch noch mich. Dass es deinen Eltern schlecht geht, liegt bestimmt nur an dem weißen Raum. In diesem dürfen sich nur reine Seelen aufhalten. Sonst darf dort keiner hinein.«

 

Zu diesem Zeitpunkt wussten wir beide auch noch nicht, dass der Herrscher und seine Frau unfähig waren, diesen Raum wieder ganz zu verlassen. Das war erst wieder nach Vollendung des gesamten Auftrages von Chania möglich. Erst wenn sie allen Kontinenten das Unglück gebracht hätte und von jedem Kontinent eine Feder in der Glaskugel stecken würde.

 

Doch was wäre dann?

 

Wir hatten im Moment leider Probleme und stritten uns. Ich hätte Chania lieber in die Arme genommen. Eigentlich waren wir beide glücklich, wieder zusammen zu sein. Aber es gab viel zu vieles, was dagegen sprach. Es trennten uns wahrlich Welten voneinander. Es gab kein miteinander. Chania funkelte mich böse an.

 

»Das glaub ich jetzt nicht, du willst mir nur wieder einreden, dass meine Eltern schlecht und böse sind. Das stimmt aber nicht! Du lügst doch! Du hast doch selber gesehen in welch schönem Land wir wohnen, was ich für eine tolle Wiese habe. Böse Menschen können doch so was Schönes und Reines nicht erleben!«

 

Chania war jetzt richtig sauer auf mich und lies mich das mit jeder Faser meines Körpers spüren.

 

Doch ich hielt dagegen. »So, deine Wiese meinst du! Waren deine Eltern jemals mit dir auf dieser Wiese? Bestimmt nicht! Auf diese Wiese dürfen nur die reinen Seelen des Landes und du bist die einzig reine Seele deines Landes!«, fauchte ich zurück.

 

Chania verschlug es die Sprache. Das war starker Tabak. Was redet Maximus da über meine geliebte Wiese? Eigentlich waren meine Eltern wirklich nie dabei gewesen. Kann es sein, dass er doch Recht hat?

 

Doch sie verwarf den Gedanken und fauchte erneut zurück. »Bullshit! Das ist nur ein Zufall. Du irrst dich. Mein Vater hat damit nichts zu tun. Ich glaube eher, dass er die Welt vor etwas Bösem retten will! Deshalb muss ich aus jedem Land ja eine Feder mitbringen. Er hat gesagt, dass es ihm und meiner Mutter erst besser gehen wird, wenn ich ihnen aus allen Kontinenten eine Feder mitbringe. Und das werde ich jetzt auch tun, ich werde mir eine Feder aus China besorgen.«

 

Mit diesen Worten lief Chania einfach weg und ließ mich stehen. Sie wollte wohl alleine sein und das Land kennenlernen. Traurig blickte ich ihr nach. »Bleib doch bitte da Chania, lass uns gemeinsam nach einer Lösung suchen!« versuchte ich sie noch zurückzuhalten. Doch Chania ignorierte mich einfach. Ohne sich nochmal umzublicken, ging einfach immer weiter. Ich wollte ihr gerade nachlaufen, als ich von einer Horde aufgeregt redender Chinesen einfach überrollt wurde, die mich mit sich rissen. Ich hatte keine Chance zu entkommen und wurde weiter und weiter geschubst, bis die Gruppe an einem großen Fluss angekommen war. Und dann sah ich es. Jetzt wusste ich, warum die Menschen so aufgeregt dorthin gelaufen waren.

 

Der Fluss war purpurrot geworden und tote Fische trieben den Flusslauf entlang. Doch nicht nur Fische, sondern auch Menschenleichen trieben im Fluss entlang. Es wurden immer mehr. Mir wurde übel bei dem Anblick. Und das soll etwas heißen bei einem Vampir, wenn ihm beim Anblick von Blut schlecht wird. Erschöpft fiel ich um. Träumte ich das alles, oder passiert es wirklich. Die Menschen um mich herum wurden von dem roten Fluss magisch angezogen. Sie gingen wie in Trance in den Fluss hinein und wurden von ihm mitgerissen. Das komische war, dass ein Teil der Menschen nicht unterging, sondern auf der anderen Seite wieder aus dem Fluss kam. Doch diese Gestalten erinnerten mich an etwas – doch an was?

 

»Die Köpfe auf den Feldern!«, murmelte ich, während es mir eiskalt den Rücken hinunter lief. Die Gestalten am anderen Ufer, erinnerten mich mit ihrem apathischen Blick, an die Köpfe auf den Feldern in der Zwischenwelt. War es schon so weit, dass der Herrscher einen direkten Zugang zur Welt gefunden hatte? Oder bildete ich mir dies nur ein? Das konnte doch noch gar nicht sein, das war unmöglich.

 

 

 

Chania war indessen weiter gelaufen. Sie war so damit beschäftigt gewesen, nach einer Feder für ihre Eltern zu suchen, dass sie das rege Treiben um sich herum nicht bemerkte. Außerdem lief sie in eine andere Richtung und kam an keinem Fluss vorbei. Hätte sie auch den Fluss mit den Leichen gesehen, wäre vielleicht alles anders gekommen und es hätte ihr die Augen geöffnet. Doch so dachte sie nur an das Wohlergehen ihrer Eltern und rannte weiter. In der Ferne sah sie eine riesige Mauer vor sich, die sich über den ganzen Horizont auszubreiten schien. Chania dachte zuerst sie würde vielleicht in ein anderes Land kommen, doch als sie später eine Gruppe Touristen traf, erfuhr sie, dass es sich hierbei um die berühmte Chinesische Mauer handelte. Nachdem diese Mauer so unendlich lange war, weckte sie das Interesse der neugierigen Chania und sie wollte alles über Sinn und Zweck dieser Mauer erfahren. Sie beschloss also sich dieser Touristengruppe anzuschließen. Fasziniert hörte sich Chania die Beschreibung der Fremdenführerin an. Diese Mauer war schon uralt und erste mauerartige Grenzbefestigungen entstanden wahrscheinlich in der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts v. Chr., als Schutz gegen die untereinander zerstrittenen Chinesen. Sie hielt trotz allem der Witterung und den Besichtigungen stand. Diese alten Mauern so hoffte Chania würden auch dem Bösen standhalten und so fühlte sie sich sicher. Die Fremdenführerin erklärte gerade den Touristen: »Diese einzelnen Mauerabschnitte bestanden aus festgeklopftem Lehm, der zur besseren Haltbarkeit mit Stroh- und Reisigschichten vermischt wurde.«

 

»Stehen wir dann hier überhaupt auf sicherem Boden?«, fragte eine junge Frau skeptisch.

 

»Ja genau, ich meine wenn die Mauer schon so alt ist und nur aus Lehm mit Stroh- und Reisig schichten besteht, ist das schon merkwürdig dass sie immer noch steht, oder?«, half ihr der junge Mann neben ihr.

 

»Ich weiß nicht so Recht«, meinte die nette Fremdenführerin mit einem verschmitzten Lächeln und ihre Augen wurden dabei zu noch kleineren Schlitzen. »Tatsache ist doch dass sie noch steht und nicht unter uns zusammenbricht, oder?«

 

Die Menge applaudierte. Die Zweifel über die Mauer waren aus dem Wege geräumt. Die Gruppe ging bedächtig auf der Mauer weiter. Die Fremdenführerin blieb stehen. »Natürlich war das mit dem Bau der Mauer noch nicht alles, denn 214 v. Chr. ließ der erste chinesische Kaiser Qin Shihuangdi, Schutzwälle errichten. Es sollte das chinesische Kaiserreich schützen. Im Unterschied zu schon vorhandenen alten Mauerresten, wurde die Mauer nicht in den Tälern, sondern unterhalb der Kammlinie der Gebirge, an den Nordabhängen errichtet. Sie bestand wegen des Fehlens von Lehm größten Teils aus aufeinandergeschichteten Natursteinplatten, die natürlich etwas stabiler waren«.

 

»Na also habe ich doch recht gehabt, dass Lehm und Strohschichten nicht alles sein können!«, meinte der junge Mann lächelnd. Die Fremdenführerin nickte.

 

»Ja, und die Mauer wurde immer wieder aus- und umgebaut. So wurden beispielsweise in der Jing Dynastie gelegentlich Strafexpeditionen in die Mongolei unternommen und ab 1192 auch die Große Mauer verstärkt. 1493 begann Kaiser Hongzhi den Bau der Ming-Mauer. Diese diente als Schutz gegen ihre Feinde, die Mongolen und half auch der besseren Überwachung des Handels. Ihr Verlauf wurde an den Bergkämmen angegliedert, was sehr teuer war. Sie wurde größtenteils aus gebrannten Steinen und aus Natursteinen errichtet. Der verwendete Mörtel bestand aus gebranntem Kalk- und Klebereis. Das Innere des Mauerwerks füllte man mit Lehm, Sand und Schotter – fertig war die Zyklopenmauer«

 

»Das kommt mir irgendwie bekannt vor«, meinte der junge Mann interessiert, »ich glaube ich habe das Wort schon während meines Architekturstudiums gehört, das nennt man glaube ich Bruchsteinwerk.« Die junge Frau, seine Freundin und ehemalige Kommilitonin nickte gefällig.

 

»Wie lange ist denn diese Mauer, sie erscheint mir unendlich lang«, fragte Chania die Reiseführerin.

 

»Nach einer neuerlichen Vermessung durch chinesische Behörden im April 2009 wurde die Länge der Chinesischen Mauer mit 8851,8 km angegeben. In dieser Zahl sind aber auch 2233 km Naturbarrieren wie Flüsse und Berge enthalten.«

 

Die Gruppe stöhnte auf. Diese Länge war irgendwie unvorstellbar. Ein echtes Welt Wunder.

 

»Natürlich muss diese Mauer stetig renoviert werden, aber unsere Regierung hat sich dies zum Ziel gesetzt. Da vorne sehen sie ein paar Arbeiter, die das Mauerwerk an dieser Stelle überprüfen. Sie können jetzt noch ein paar Fotos machen und dann treffen wir uns in einer Stunde am Bus wieder.«

 

Mit diesen Worten verließ die Fremdenführerin die Gruppe. Chania schlich ihr nach. Sie ging zu den Arbeitern und erkundigte sich nach dem Fortschritt der Renovierungen. Sie hörte, wie ein Arbeiter zu seinen Kollegen sprach.

 

»Irgendetwas stimmt hier nicht. Es hat vor einer Stunde Risse im Mauerwerk gegeben. Wir sollten die Touristen von der Mauer entfernen. Sie scheint instabil geworden zu sein.«

 

Chania stöhnte auf. Sie konnte es nicht mehr ertragen, dass irgendetwas passierte, während sie sich wo aufhielt. Ohne sich weiter umzudrehen rannte sie weg und verließ die Mauer. Sie rannte und rannte und wagte sich nicht mehr umzublicken.

 

 

 

Ich hatte kurze Zeit später die Chinesische Mauer erreicht. Auf der Suche nach Chania hatte ich begonnen, einen Teil der Mauer abzufliegen. Doch diese Mauer war so lange, ich wäre tagelang unterwegs gewesen, ohne Chania zu finden. Dieses Land war einfach zu groß für mich. Da half mir wieder mal der Zufall. Unter mir sah ich ein paar Arbeiter, die verzweifelt versuchten ein paar Touristen zu bewegen, die Mauer zu verlassen.

 

»Aber wir haben doch noch eine halbe Stunde«, entrüstete sich gerade eine ältere Frau, »ich will noch nicht zurück zum Bus gehen. Fassen Sie mich ja nicht an junger Mann!«

 

Auch die anderen Touristen waren ziemlich aufgebracht und verstanden nicht, was ihnen die Arbeiter eigentlich sagen wollten. Die Fremdenführerin schaffte es dann doch noch ihre Gruppe zum Verlassen der Mauer zu bewegen.

 

»Was ist denn da unten wohl los?«, wunderte ich mich und analysierte die Mauer etwas genauer mit meinem Röntgenblick. Und dann sah ich es. Ein feiner unscheinbarer Riss durchzog die Mauer. Er schien sich immer weiter in die Länge auszubreiten.

 

»Unmöglich«, dachte ich mir und rieb mir die Augen, »das kann ja gar nicht sein, da die Mauer aus mehreren Abschnitten besteht.«

 

Doch der Riss ließ sich davon nicht irritiern. Mittlerweile begann er sich auch noch in der Breit auszudehnen. Die Touristen unter ihm schienen die beginnende Instabilität nicht zu bemerken.

 

Ohne Vorwarnung riss nach einiger Zeit plötzlich die Mauer der Länge nach auf und klappte mit samt den Menschen in zwei Teile auseinander. Die Erde bebte und Schreie hallten durch die einsame Gegend, bis sie kurz darauf verstummten. Dann war es ruhig - Gespenstisch ruhig. Ich hielt den Atem an und wagte nicht weiter runter zu blicken. Dieses Land und seine Kulturdenkmäler zerfielen zu Staub und ich musste hilflos zusehen. Wo war nur Chania geblieben, war sie schuld daran? Hatte ich sie wieder einmal verpasst? In welche Richtung sollte ich denn jetzt fliegen, um sie einzuholen? Ich war ratlos und traurig zugleich und flog einfach drauf los.

 

 

 

Chania war schon in einiger Entfernung gewesen, als sie diesen ohrenbetäubenden Knall hörte. Die Erde unter ihr begann zu zittern und zu beben. Sie wollte nicht sehen und hören. Sie hielt sich deshalb die Ohren zu und rannte einfach weiter – bis die Dunkelheit kam und sie erschöpft in sich zusammenfiel.

 

Ihre Gedanken quälten sie und sie fühlte sich alleine.

 

»Papa, Mama – helft mir doch. Ich will das alles nicht!«, flehte sie die Dunkelheit an.

 

Ich war ihr nachgeflogen und fand ein Häufchen Elend vor mir. Sie zitterte am ganzen Körper.

 

»Da bist du ja Maximus“, schluchzte Chania, »ich will keine Vorwürfe von dir hören Maximus!«

 

Na das war ja ein toller Empfang. Ich hatte mir ja nur Sorgen um Chania gemacht hatte. Ich schwieg deshalb und nahm sie einfach nur in den Arm. Ich erzählte ihr nicht, was mit der Chinesischen Mauer passiert war und sie fragte auch nicht danach. Chania wollte es einfach nicht wissen und schwieg ebenfalls. Ein langes, trauriges Schweigen entstand. Nach einiger Zeit brach Chania endlich das Schweigen.

 

»Ich will sofort weg von hier Maximus, bring mich bitte weg von dieser Gegend.«

 

Ich nickte stumm, verwandelte mich wieder in eine Fledermaus und packte Chania, die sich willenlos und kraftlos mitnehmen ließ. Ich flog die ganze Nacht durch, bis ich an eine verlassene Stadt kam, auf der ich mich niederließ. Ich war sehr erschöpft durch den langen Flug, verwandelte mich zurück und schlief neben Chania auf den Stufen zu einem Gebäude ein. Am nächsten Tag wurden wir beide von einem heftigen Stimmengewühl aufgeweckt. Es schienen hunderte von Leuten um uns herum zu sein. Chania schnappte ein paar Fetzen Worte auf, die wie »Verbotene Stadt« klangen und »Kaiserpalast.«

 

Ich rieb mir die Augen und staunte nicht schlecht, was ich erblickte. Wir beide lagen eng umschlungen am Fuße der Treppe zum Kaiserpalast in der verbotenen Stadt und die Touristen belustigten sich über uns.

 

Gut, das die Wachen uns nicht schon vorher bemerkt hatten, sonst hätte man uns vielleicht in ein chinesischen Gefängnis gebracht. Eine Fremdenführerin erklärte gerade einer Gruppe Touristen, wo sich die verbotene Stadt befindet.

 

»Wir befinden uns jetzt im Zentrum von Beijing. Der einfachen Bevölkerung war damals der Zutritt verwehrt, daher der Name »Verbotene Stadt«. Sie liegt am Ende vom Platz des himmlischen Friedens«.

 

»Lass uns lieber abhauen«, forderte ich Chania auf, »nicht dass hier auch noch alles zerstört wird. Vielleicht hat es dein Vater noch nicht mitbekommen, dass wir hier sind.«

 

»Komm mach dich nicht lächerlich Maximus, du denkst doch nicht etwa, dass diese verbotene Stadt zerstört wird, nur weil wir hier sind?«

 

»Naja, ich bin mir da nicht mehr so sicher Chania. Immerhin ist viel passiert seit wir in China sind. Sicher ist sicher. Doch wenn wir schon mal hier sind, können wir uns die Anlage ruhig anschauen.« schmunzelte ich.

 

Chania lächelte. Das war genau, was sie wollte. Altertümliche Bauwerke übten auf sie eine besonders magische Anziehung aus. Sie spürte regelrecht die Geschichte, die aus diesen alten Mauern hervorging. All das Leid und die Macht die es hier gegeben hat. Überall schnatterten die Touristenführer. Irgendjemand erzählte, dass es merkwürdig sei, dass diese Stadt nicht zerstört wurde, insbesondere während er Kulturevolution. Er wurde aufgeklärt, dass zu dieser Zeit der Große Parteivorsitzende Mao ganz in der Nähe wohnte und befohlen hatte, dass Anlagen und Verwüstungen in seinem Umfeld - ganz im Gegensatz zum sonstigen China - unterbleiben sollten. Und das rot des Kommunismus biss sich daher auch nicht mit der orange-roten Farbe der Wände und Mauern, die ein typisches Merkmal für das alte China waren. Die Tempelanlagen in Asien haben oft ein kräftiges Rot.

 

Soeben ging ein anderer Fremdenführer an uns vorbei, der folgendes erklärte: »Die Verbotene Stadt stellt ein Meisterwerk der chinesischen Architektur dar. Diese Anlage entsprach der Weltsicht der kaiserlichen Herrscher. Sie ist fast schachbrettartig ausgerichtet und erinnert an das Machtsymbol des Kaisers in der Mitte. In ihr befanden sich unter anderem die Paläste der Herrscher. Die Dächer waren teilweise vergoldet und alle mit gelben, glasierten Ziegeln gedeckt. Das war die Symbolfarbe des Chinesischen Kaisers. Kein Gebäude in Peking durfte damals die Verbotene Stadt in der Höhe überragen. Sie ist erdbebensicher gebaut und hat schon mehrere größere Erdbeben überlebt.« Chania hörte fasziniert zu. Ich hingegen war mit meinen Gedanken ganz woanders und konnte mir den Zerfall der Chinesischen Mauer nicht erklären. Lächerlich dabei an ein Erdbeben zu denken. Der Herrscher der Zwischenwelt hat doch ganz andere Möglichkeiten. Mir reichte es jetzt. Ich wollte nur noch weg.

 

»Bitte lass uns jetzt endlich gehen. Du hast doch jetzt genug von der Stadt gesehen.«

 

»Muss das sein? Hier ist doch alles so schön friedlich“, murrte Chania, doch dann lenkte sie plötzlich ein.

 

Die Feder. »Ich brauche doch noch eine Feder“, murmelte sie nachdenklich.

 

Ich nickte beklommen. Wieder diese blöde Feder. Wie konnte ich sie nur davon abhalten? Wir gingen weiter in Richtung Ausgang und kamen an einem Souvenirhändler vorbei, der einen Bilderband von China verkaufte. Auf einem dieser Bilder war eine riesengroße Terrakottaarmee zu sehen.

 

»Die Armee der Zwischenwelt«, murmelte ich.

 

Chania bestrafte mich erneut mit einem vernichtenden Blick. »Quatsch! Hör doch endlich auf. Was redest du denn da schon wieder Maximus. Das ist doch nur eine Armee aus Stein.« Sie schüttelte wild den Kopf.

 

Doch mir war es ernst. »Ja, aber vielleicht schafft es dein Vater auch diese Armee zum Leben zu erwecken! Was passiert dann?«

 

»Du redest Unsinn Maximus, lass uns lesen was hier drunter steht. Die Terrakottaarmee von Xian wurde in Jahre 1974 bei Erdausgrabungen entdeckt, als diese im Dorf Xijang eine Bewässerungsanlage in der Nähe der nordchinesischen Stadt Xian in der Provinz Shaanxi bauen wollten. In den Folgejahren wurde nach und nach eine gigantische Armee aus tausenden lebensgroßen Terrakottasoldaten freigelegt. Diese steht heute auch auf der Liste des UNESCO Weltkulturerbes.«, las Chania laut vor.

 

Na und?“, knurrte ich missmutig.

 

»Du brauchst also vor dieser Armee keine Angst haben, denn die Krieger können nicht mehr lebendig werden«, lachte Chania.

 

Ich nickte betrübt.

 

»Du hast ja Recht, lass uns endlich weitergehen.«

 

Wortlos gingen wir weiter. Der Gedanke an die Armee ließ mir keine Ruhe mehr. Ich musste pausenlos an die Armee des Herrschers denken. Ziellos schlenderten wir weiter durch Peking, vorbei an anderen Kulturstädten, bis wir irgendwann die Stadt verließen und die Schönheit des Landes uns faszinierte. Wir sollten nicht mitbekommen, dass das Böse kurz davor war, selbst die verbotene Stadt zu vereinnahmen und die Terrakotta Armee zum Leben zu erwecken. Die Armee des Herrschers der Zwischenwelt würde so unaufhaltsam weiter wachsen, ohne dass wir beide davon etwas mitbekamen. Doch Chania dachte nicht im Geringsten daran. Sie genoss einfach ihre Weltreise.

 

Wir kamen an einem gigantischen, herrlichen Reisfeld vorbei. Eigenartiger Duft breitete sich aus.

 

»Mmh herrlich«, seufzte sie und sog den Duft ein.

 

Ich sah das deutlich nüchterner.

 

»Mann sind das aber große Felder.«

 

»Ja, da werden viele Menschen davon satt«, erwiderte Chania nachdenklich.

 

»Ja, und die Felder sind sinnvoller und besser als die Felder deines Vaters. Da hängen nur die Köpfe an den Pfählen«, meinte ich zynisch.

 

»Was redest du da für einen Unsinn! Ich habe solche Felder nie gesehen. Du lügst doch!«

 

Chania war jetzt erst richtig sauer auf mich und funkelte mich mit zornigen Augen an.

 

»Ist ja schon gut, ich hab´s ja nicht so gemeint. Ich habe nur vergessen, dass du die Felder ja nicht sehen konntest. Bitte verzeih mir Chania«, versuchte ich Chania zu beruhigen.

 

Doch Chania schwieg. Wieder einmal war ihr bewusst geworden, dass ich und sie nicht das gleiche Ziel verfolgten. Chania wunderte sich, warum ich überhaupt mitgekommen war. Sie glaubte, ich würde ihren Vater hassen und sie wollte ihn retten. Wir gingen beide schweigend von unseren Gedanken und Eindrücken gefesselt an einem See vorbei, der friedlich vor uns lag.

 

»Lass uns doch etwas ausruhen an dem schönen See«, meinte Chania versöhnlich zu mir, setzte sich gemütlich hin und zog ihre Schuhe aus. Doch ich war mit meinen Gedanken noch weit weg und bis ich reagieren konnte, war sie schon bis zu den Knöcheln im Wasser. Sie nahm eine Portion Wasser in die Hände und spritzte mich mit voller Wucht an.

 

»Sag mal spinnst du?«, schnaubte ich empört. Vampire sind nun mal nicht gerade die größten Fans von Wasser und ich bekam auch noch die ganze Ladung im Gesicht ab. Chania grinste.

 

»Nun hab dich nicht so, du Memme«, jauchzte sie.

 

Im Gegensatz zu mir, genoss sie das herrliche Wasser in vollen Zügen. Der Funke sprang über. Mein Gesicht erhellte sich, denn ich freute mich, das Chania so glücklich war. Ich konnte ihr nicht länger böse sein. Ich riss mir die Schuhe vom Leib und sprang ins Wasser. Dabei wurde Chania von oben bis unten nass gespritzt. Jetzt war sie es, der die Mundwinkel plötzlich herabhingen.

 

»Hast du sie noch alle«, schrie sie hysterisch.

 

Ich lachte nur, und dann musste Chania auch mitlachen. Kichernd spritzten wir uns gegenseitig an. Jetzt waren wir wieder ein ganz normales Liebespaar, das sich im Wasser neckte und Freude am Leben hat. Unsere Lippen verschmolzen zu einer Einheit und wir waren mit unseren Gedanken nur noch bei uns. Doch leider währte dieser Moment nicht lange. Chania stockte auf einmal der Atem und ihre weichen Lippen wurden spitz. Dicht über ihrem Kopf, hörte sie ein schnatterndes Geräusch und ein Windzug huschte durch ihr nasses Haar. Die Feder.

 

Es war eine weiße Wildgans, die knapp über ihrem Kopf vorbeigeflogen war und jetzt am Ufer landete.

 

»Da, meine Feder. Ich muss doch meinem Papa eine Feder bringen, damit er wieder gesund wird«, stammelte Chania und stürzte aus dem Wasser. Ich hinterher. Das musste ich verhindern. Die Wildgans erschrak sich so dabei, dass sie wieder einen Satz ins Wasser machte, während wir an Land waren. Und dann verfärbte sich das Wasser langsam rot. Genau an der Stelle wo die Wildgans ins Wasser gesprungen war. Die Wildgans erschrak erneut und floh wieder panisch aus dem Wasser. Doch es war schon zu spät. Ihre Füße und ihr Unterbauch hatten sich schon leicht rot gefärbt. Kraftlos landete sie ein paar Meter neben uns und legte sich erschöpft schlafen.

 

»Von dem schönen Tier muss ich eine Feder haben!«, rief Chania erfreut aus und lief in Richtung Wildgans.

 

»Nein Chania! Siehst du nicht ihr rotes Gefieder am Bauch«, rief ich ihr nach, doch sie ließ sich nicht davon abhalten.

 

Der Herrscher der Zwischenwelt hatte wieder mal Macht über sie. Kurz vor der Gans blieb Chania stehen und schlich sich vorsichtig heran. Dann packte sie die Gans, suchte sich eine schöne Feder aus und riss ihr diese gnadenlos aus.

 

Ich traute meinen Augen nicht. Soviel Brutalität hatte ich ihr nicht zugetraut. Chania hielt stolz eine schöne weiße Feder in der Hand. Doch dort an der Stelle, wo sie die Feder ausgerissen hatte, quoll rotes Blut. Binnen von Sekunden war das ganze Federkleid der Wildgans in rotes Blut getaucht. Mein Gesicht verfinsterte sich und erstarrte bei diesem Anblick. Auch Chania realisierte, was sie getan hatte und starrte das Tier entsetzt an. Sie glaubte nicht, dass sie das angerichtet hatte und wirkte dementsprechend verstört.

 

»Was hab ich bloß getan? Ich habe dir doch nur eine Feder ausgerissen! Davon kannst du doch nicht verbluten! Es tut mir so leid.«

 

Chanias Augen weiteten sich und sie blickte der Gans starr in die Augen. Die Wildgans blickte nur traurig zurück und aus ihren Augen quollen weiße Tränen. Dieser Blick gefror Chania das Blut in ihren Adern, und sie suchte sich hilfesuchend nach mir um. »Maximus wo bist du? Hilf mir doch. Schau was ich getan habe. Ich wollte doch nur eine Feder haben!« , schluchzte sie.

 

Ich war stehen geblieben und versuchte zu Chania zu laufen. Doch es ging nicht, ich blieb angewurzelt stehen. Es war als trennten uns dieses Mal Welten. Was passierte denn jetzt schon wieder?

 

Chania streckte mir verzweifelt die Hände entgegen, als wolle sie nach mir greifen. Hinter ihr kam aus dem Himmel das blaue Licht, zog einfach an ihr und warf sie hoch in die Luft. Dann gab es einen großen Knall und das blaue Licht explodierte in der Luft. Dann war Chania im Nichts verschwunden.

 

Ich löste mich aus meiner Starre. »Nicht«, schrie ich verzweifelt. Panik ergriff mich vor dem was jetzt passieren würde. Wie sollte ich denn jetzt wieder zurückkommen aus diesem fremden Land.

 

 

 

Genau in diesem Augenblick war Vanillia ins Kaminzimmer gekommen um nach dem Vamuraibuch zu schauen. Sie sah gerade noch wie ein kräftiger blauer Rauch heraus strömte und hörte den entsetzten Schrei ihres Bruders. Als sie das Buch erreicht hatte, quoll ihr wieder der sanfte Rauch entgegen, der sonst auch aus dem Buch kam.

 

»Hoffentlich ist Maximus nichts passiert!«, dachte Vanillia und es lief ihr dabei eiskalt den Rücken hinunter. Die Gräfin und sie, hatten jetzt schon tagelang nichts mehr von uns gehört und machten sich große Sorgen. Sie schlich sich an das Vamuraibuch heran und beugte sich darüber. »Maximus, Maximus hörst du mich. Wie geht es dir?«, murmelte sie in das Buch hinein.

 

Trotz aller Warnungen, war sie wie magisch angezogen, näher an das Vamuraibuch herangetreten, ohne weiter darüber nachzudenken. Es war ihr eigentlich verboten alleine in das Kaminzimmer zu gehen. Sie wusste nicht viel über das Vamuraibuch. Auch nicht, dass das Buch Neulingen gegenüber, sehr aufgeschlossen und aktiv war. So nutzte das Vamuraibuch jetzt die Chance, um mit Vanillia in Kontakt zu treten und auf den weißen Seiten erschien mit blauer Schrift: »Maximus braucht deine Hilfe.«

 

Vanillia konnte mittlerweile Dank ihrer Mutter, die ja früher Lehrerin gewesen war, Lesen und Schreiben.

 

»Maximus braucht deine Hilfe!«, las sie laut vor.

 

Meine Hilfe? Ich bin doch nur ein kleines Mädchen.

 

»Wo bist du nur Maximus, kann ich dir helfen?«, rief sie erneut in das Buch hinein und bekam auch prompt eine Antwort.

 

»Maximus ist in China und braucht deine Hilfe!«

 

Vanillia stutzte. Wer oder was ist China?

 

Doch sie war ein sehr mutiges Mädchen.

 

»Was kann ich tun um Maximus zu helfen?«

 

»Du musst an Maximus glauben und an die Macht des blauen Lichtes. Nur so kann Maximus China wieder verlassen, bevor es zu spät ist!«, erschien auf den weißen Seiten.

 

Vanillia nahm all ihren Mut zusammen.

 

»Ich werde alles tun um Maximus zu retten!«.

 

Sie war so aufgeregt, dass sie zitternd ihre Hand auf die Seite des Vamuraibuch legte, auf der die Sätze geschrieben wurden. Sie beugte sich über das Buch, fing vor lauter Verzweiflung an zu weinen und ihre Tränen benetzten die Seiten des Buches. Die Tränen liefen über die Schrift und verwischten sie. Das Vamuraibuch reagierte prompt darauf. »So sei es!«.

 

Durch die Liebe zu ihrem Bruder, tat sich erneut ein neuer Zeitsprung auf. Wie an dem Tage ihrer Geburt wurde das blaue Licht aktiviert, und hüllte binnen kurzer Zeit das ganze Kaminzimmer in blaues Licht. Chania wurde davon wie in einem Kokon eingehüllt,. Sie wagte kaum zu atmen und konnte sich nicht mehr von der Stelle bewegen. Der süßliche Duft betörte ihre Sinne und machte sie willenlos. Dann fiel sie in einen seltsamen Schlaf.

 

 

 

Doch nicht nur das Kaminzimmer wurde von diesem blauen Licht erfasst. Das Licht kam auch nach China und suchte mich. Wie ein kleiner Tornado fegte das blaue Licht über China hinweg und fand mich schlafend am Fuße des Reisfeldes, das mittlerweile blutrot geworden war. Irgendwie schien sich alles um mich herum blutrot zu verwandeln. Ich erwachte gerade aus meiner Erstarrung, als ich vom blauen Licht erfasst und aufgesogen wurde.

 

 

 

Vanillia erwachte zur selben Zeit auf der Couch im Kaminzimmer und war etwas verwirrt. Ihre Mutter hatte sie bewusstlos im Kaminzimmer gefunden und dort auf die Couch hingelegt.

 

»Was ist denn passiert mein kleiner Liebling?«, fragte die Gräfin besorgt, als Vanillia wach wurde und strich ihr dabei sanft über die Haare, »ich habe dich schlafend über dem Vamuraibuch gefunden. Du solltest doch nicht in die Nähe dieses Zauberbuches kommen! Wieso hörst du nicht auf mich?«

 

»Ich muss doch Maximus retten!«, murmelte Vanillia.

 

Sie erzählte ihrer Mutter ganz aufgeregt was sie mit dem Vamuraibuch erlebt hatte.

 

Die Gräfin schüttelte energisch den Kopf.

 

»Vielleicht hast du das nur geträumt. Ich habe kein blaues Licht und keine Schrift im Buch gesehen. Weißt du manchmal stellt man sich Dinge vor, die man möchte und eigentlich träumt man sie nur.«

 

Die Gräfin nahm Vanillia sanft in die Arme und streichelte ihr kleines Mädchen. Im Moment war sie das Einzige, was ihr im Leben übrig geblieben war. Sie hatte keinerlei Nachricht von Maximus und seinem Vater und wusste nicht einmal, ob beide noch am Leben waren. Dann lächelte sie auf einmal.

 

»Und überhaupt! Unseren beiden kann gar nichts passieren! Sie können ja nicht getötet werden oder umkommen. Ich glaube kaum, dass es in der Zwischenwelt Vampirjäger gibt.«

 

Jetzt lächelte auch Vanillia wieder. Daran hatte sie gar nicht gedacht. Die beiden waren ja Vampire und eigentlich fast unverletzlich.

 

»Du hast Recht Mami!«, meinte sie dann entschlossen, »die beiden werden es schaffen, da bin ich mir ganz sicher!«

 

»Du schaffst es Maximus!«, rief Vanillia so laut sie konnte in das Vamuraibuch hinein und verließ dann mit der Gräfin zuversichtlich das Kaminzimmer.

 

 

 

Ich hörte die Stimme meiner Schwester, während ich vom blauen Licht wieder in die Zwischenwelt transportiert wurde. Auch ich musste plötzlich lächeln.

 

»Ich werde es schaffen!«, schrie ich aus vollem Hals heraus, doch leider hörten mich meine Schwester und meine Mutter nicht mehr.

 

Chania war mittlerweile wieder in der weißen Kammer gelandet. Dieses Mal schon etwas unsanfter als beim Ersten Mal. Die schöne weiße Feder hielt sie fest umklammert, aber beim Aufprall auf den Boden fiel sie ihr aus der Hand. Etwas benommen blickte sich Chania im weißen Raum um, und sah ihre Mutter und ihren Vater kauernd auf dem Boden sitzend. Irgendwie waren beide um Jahre gealtert.

 

»Ich bin wieder da!«, rief sie erfreut aus, »da schaut mal, ich habe ein schöne weiße Feder aus China mitgebracht! Nur der Vogel wurde dabei ganz rot und ich bekam Angst!«

 

»Mein kleiner Liebling, das hast du toll gemacht! «, erwiderte der Herrscher mit schwacher Stimme und wollte nach der Feder greifen. Doch diese entzog sich ihm in wunderbarer Weise. Immer wenn er sie greifen wollte, ging es nicht.

 

»Chania, mein Liebling, du musst die Feder selber in die Kugel stecken, ich schaff es nicht selber!«

 

Chania nahm die Kugel, die immer noch über ihrem Kopf schwebte in die eine Hand und steckte mit der anderen Hand, die Feder in die Kugel.

 

Wie bei Ersten Mal wurde sie blutrot, drehte sich und die Feder sah plötzlich aus, als wäre sie in Blut getränkt worden. Dann drehte sich die Kugel immer schneller und hüllte einen noch größeren Teil als beim ersten Mal, in roten Rauch. Fast die Hälfte des weißen Raumes war jetzt in roten Rauch gehüllt. Sogleich ging es dem Herrscher und seiner Frau etwas besser. Es war als wären sie zu neuem Leben erwacht. Chania freute sich darüber und umarmte beide.

 

»Es ist so schön, dass es euch besser geht! Ich habe euch doch so lieb.«

 

Chania weinte vor Freude. Der Herrscher nickte wohlwollend und nahm sie in den Arm.

 

»Das haben wir nur dir und deinem Mut zu verdanken! Du bist ein ganz tolles Mädchen. Wir werden bald ganz gesund in unsere Welt zurückkommen können. Ich bin ja so froh, dass es dich gibt!«

 

Auch Chanias Mutter freute sich und drückte ihre Tochter an sich. Sie wusste ja auch nichts von dem Plan ihres Mannes, durch Chania die Welt zu beherrschen. Sie liebte ihren Mann ohne Wenn und Aber. Und das tat Chania leider auch.

 

Das Elend auf Erden würde bald eine neue Dimension annehmen. Chania wusste nicht, dass mittlerweile ein Land nach dem anderen in Asien von dem Bösen verseucht wurde. Es hatte sich im ganzen Kontinent ausgebreitet und keinen verschont. Arme Chania, wenn sie das doch nur geahnt hätte. Es wäre vieles anders gekommen. Diesmal war sie von ihrem Ausflug so kaputt, dass sie sich einfach auf den Boden legte und einschlief. In ihren Träumen sah sie fürchterliche Dinge um sich herum und träumte den Untergang Asiens.

 

Doch wie das manchmal bei Träumen so ist, wusste sie am Ende nur noch, dass sie etwas Schlimmes geträumt hatte, aber leider nicht mehr was.

 

 

 

Ich war immer noch im Tunnel des blauen Lichtes gefangen. Es war als wüsste das blaue Licht nicht, wohin es mich transportieren sollte. Im Kaminzimmer lag immer noch das Vamuraibuch und das blaue Licht quoll aus ihm heraus. Da fing das Vamuraibuch plötzlich an zu sprechen und das blaue Licht wurde wieder heftiger. »Maximus komm her zu mir - Maximus komm heim zu deiner Schwester. Der Schlüssel für die Rettung der Welt ist hier. Maximus hörst du mich?«

 

Ich glaubte zu träumen. Während ich noch im Tunnel durch den blauen Rauch wirbelte, sprach eine Stimme zu mir. Was sollte denn das jetzt bedeuten? Wer will denn jetzt schon wieder was von mir? Wohin soll ich gehen? Zu Vanillia?

 

»Was willst du von mir? Lass mich zurück in die Zwischenwelt - zu Chania - ich muss sie aufhalten weiter das Böse in die Welt zu bringen. Ich muss doch die Welt retten!«, rief ich ganz aufgeregt.

 

»Komm heim ins Schloss, Maximus - komm schnell - komm doch! Der Schlüssel zur Rettung der Welt ist hier! Beeil dich doch!« grummelte die dunkle Stimme des Vamuraibuches.

 

Jetzt fackelte ich nicht mehr lange.

 

»Ich komme - ich eile!«, schrie ich aus Leibeskräften. In diesem Moment wurde der Lichtstrudel richtig turbulent und ich wurde immer wilder herumgeschleudert. Dann wurde ich erneut von einem Sog erfasst und wurde fast bewusstlos Mit einem lauten Rums landete ich im Kaminzimmer. Noch völlig geschwächt blieb ich dort regungslos liegen. So fand mich einige Zeit später Vanillia, die aus irgendeinem Grund nochmals ins Kaminzimmer gegangen war. Warum wusste sie selber nicht. Sie vermisste mich sehr und machte sich große Sorgen seit ich und mein Vater weg gegangen waren.

 

»Ich wünschte du wärst hier Maximus. Ich brauche dich so sehr.« Vanillia war den Tränen nahe. »Komm doch endlich zurück und bring auch Papi wieder!«

 

Jetzt konnte sie ihre Tränen nicht mehr halten und schluchzte leise vor sich hin.

 

War das Vanillia? Ich hörte die Stimme, war aber noch etwas benommen und rappelte mich gerade hoch. Da sah ich sie, wie ein Häufchen Elend zusammen gekauert, vor dem Vamuraibuch sitzen.

 

»Vanillia ich bin hier!«, rief ich noch ganz benommen.

 

»Maximus da bist du ja!«

 

Vanillia lief aufgeregt zu mir und umarmte mich so heftig, dass ich beinahe wieder hingefallen wäre. Das blaue Licht hatte mich meiner Vampirkräfte beraubt. »Wo kommst du denn her Maximus - ich hab dich so sehr vermisst. Warum bist du denn hier, du musst doch die Welt retten. Wo ist überhaupt Papa und was macht Chania und der Kopf?«

 

Aus Vanillia sprudelte es nur noch heraus.

 

»Und was geht in der Zwischenwelt so ab, wie weit ist der Herrscher mit seiner Invasion. Greift das Böse schon um sich?«

 

Ich wusste gar nicht, wo ich zuerst anfangen sollte und was ich ihr erzählen konnte.

 

»Weißt du«, fing ich an, »es ist einfach schrecklich - zu schrecklich um es dir zu erzählen.«, stotterte ich.

 

Ich konnte Vanillia, meiner kleinen Schwester, unmöglich meine Erlebnisse in Australien und Asien erzählen.

 

»Ich kann dir nicht die Einzelheiten erzählen«, fing ich vorsichtig an, »aber der Herrscher der Zwischenwelt hat mit Hilfe Chanias schon zwei Kontinente mit dem Bösen verseucht. Ich denke, wenn Chania von allen fünf Kontinenten ihrem Vater eine Feder mitgebracht hat, dann ist die ganze Welt in Gefahr, dann sind wir alle verloren. Dann wird sich die Zwischenwelt mit der unseren Vereinen und das Böse, Grausame wird die Welt regieren.«

 

»Das darf nicht sein Maximus, du musst das verhindern! Du musst die Welt retten!«

 

»Ja du hast Recht! Vater und der Kopf, der übrigens unser verschollener Opa ist, werden mir dabei helfen.«

 

»Wieso Opa, wen meinst du denn damit?«

 

Vanillia schaute mich jetzt ratlos und fragend an. Sie wusste ja noch nichts von unserem Opa.

 

»Ich hab dir doch von dem Kopf aus der Zwischenwelt erzählt - Papa kannte ihn. Es ist sein Vater.«

 

Vanillia sah mich ungläubig an. Ich stockte kurz und musste mich erst mal sammeln. Dann erzählte ich weiter. »Der Herrscher der Zwischenwelt hatte ihn damals getötet, so dachte jedenfalls Papa. Aber einen Vampir konnte man ja nicht töten, auch nicht in der Zwischenwelt. Darum hatte der Herrscher ihn einfach zu seinen Köpfen getan und irgendwann vergessen. Und Opa hatte nur einen geeigneten Zeitpunkt abgewartet, um mit uns Kontakt über das Vamuraibuch aufzunehmen. Er wusste, dass nur ein Vampir in der Lage sein würde, den Herrscher aufzuhalten.«

 

»Das ist ja ein Ding!«, rief Vanillia erstaunt, »ich habe einen Opa! Das habe ich mir immer gewünscht. Kannst du mich nicht mitnehmen, damit ich ihn kennen lernen kann? Ich möchte das so gerne. Bitte Maximus!«

 

»Das geht nicht Vanillia. Du weißt nicht wie schlimm es dort ist. Die Welt gerät aus den Fugen. Die Grenze zwischen unserer Welt und der Zwischenwelt wird immer nahtloser. Mittlerweile sind nicht nur Australien und China, sondern auch ganz Asien vom Bösen verseucht. Ich weiß mittlerweile nicht mehr, wie ich Chania davon überzeugen kann, dass ihr Vater dafür verantwortlich ist. Sie sieht ihn immer noch mit den Augen einer liebenden Tochter. Und Chania sieht das Böse nicht. Sie blickt immer nur voraus und niemals hinter sich. Deshalb sieht sie nicht, was durch ihre Anwesenheit passiert. »Das ist ja schlimm! Was richtet sie eigentlich genau an?«

 

Vanillia blickte mich neugierig an.

 

»Das willst du gar nicht so genau wissen. Ich kann und will es dir nicht genau erzählen, es ist zu grausam und schrecklich.«

 

Ich konnte ihr das unmöglich erzählen.

 

»Aber ich bin doch kein kleines Kind mehr! Du behandelst mich immer noch wie ein Baby!«

 

Vanillia war jetzt außer sich und empört.

 

»Das war nicht so gemeint, Vanillia. Ich will dich doch nur schützen!«, erwiderte ich sehr bestimmt und damit war das Thema für mich erledigt. Vanillia nickte enttäuscht. Sie hatte resigniert. Von mir würde sie nichts mehr erfahren. Doch auch wenn ich sie nicht mitnehmen würde, sie könnte doch einfach …

 

Ob sie sich das trauen würde?

 

Mittlerweile war Mama auf der Suche nach Vanillia ins Kaminzimmer gekommen und war sehr erstaunt, uns beide dort vorzufinden.

 

»Vanillia da bist du ja, ich habe dich überall gesucht! Maximus? Was machst du denn hier. Ich dachte du rettest mit Papa zusammen die Welt? Wo ist dein Vater überhaupt?«

 

Gräfin Vamus nahm mich in die Arme und drückte mich dabei so fest, dass ich kaum Luft bekam. Ich war glücklich. »Mama, du hast mir so gefehlt. Vater ist noch mit Opa in der Zwischenwelt.«

 

»Wieso bist du hier, was ist denn passiert und wer ist dieser Opa?«

 

»Ich weiß es nicht genau, warum ich hier bin. Ich wollte von Asien zurück in die Zwischenwelt und saß irgendwie in dem blauen Tunnel fest. Dann hat eine Stimme zu mir gesprochen, dass ich zu euch kommen solle, denn hier wäre der Schlüssel zur Rettung der Welt. Und jetzt bin ich hier und grüble darüber nach, was die Stimme damit gemeint hat!«

 

»Aber was meintest du mit Opa? Du hast doch gar keinen Opa!«

 

»Weißt du, mein Opa ist der Kopf aus der Zwischenwelt, der mit uns Kontakt aufgenommen hat. Als Papa damals in der Zwischenwelt war, hat Opa ihn doch gerettet und ist dabei geschnappt worden. Der Herrscher der Zwischenwelt konnte ihn aber nicht töten, da er ja ein Vampir ist und so hat er den Kopf einfach zu den anderen Köpfen gebracht und ihn irgendwann dann vergessen.«

 

»Das ist ja Wahnsinn. Ich habe einen Schwiegervater - unglaublich. Wann werde ich ihn kennen lernen?«

 

»Ich weiß es nicht, vielleicht wenn alles vorbei ist. Vielleicht kann Opa auch nur in der Zwischenwelt noch existieren. Kannst du dir unter dem Schlüssel zur Rettung der Welt etwas vorstellen, Mum?«

 

Ich zuckte mit den Achseln. Es fiel mir einfach nichts ein, was damit gemeint sein könnte.

 

»Keine Ahnung mein Junge. Vielleicht weiß das Vamuraibuch darauf eine Antwort!«, meinte sie nachdenklich. »Lasst uns das Vamuraibuch fragen.«

 

Ich ging mit Mama und Vanillia näher an das Vamuraibuch heran. Ganz vorsichtig setzten wir uns davor und warteten, ob das Buch reagieren würde. Der blaue Rauch quoll zwar etwas stärker aus dem Vamuraibuch hervor, aber sonst passierte nichts.

 

»Hilf mir, Vamuraibuch! Wer oder was ist der Schlüssel zur Rettung der Welt«, fragte ich das Buch verzweifelt.

 

Das Vamuraibuch wackelte etwas hin und her und dann erschien eine Schrift auf dem schweren Papier und die unheimliche Stimme sprach wieder:

 

»Du siehst es nicht, doch es ist so nah -

 

Hör in dein Herz schau was mal war.

 

Versuch mit deinem Herzen zu denken -

 

und deine Gedanken damit zu lenken.«

 

Dann war plötzlich Stille. Keiner wagte mehr einen Ton zu sprechen, geschweige sich von der Stelle zu rühren. Alle hofften wir, dass das Vamuraibuch noch weitermachen würde. Doch es kam nichts mehr. Das Vamuraibuch lag ganz still und ruhig da, sanfter Rauch blies heraus. So als wäre nichts gewesen.

 

Ich las das Gedicht nochmals laut vor. Vanillia und meine Mama hingen gespannt an meinen Lippen. Doch das Erstaunen und die Ratlosigkeit wich nicht aus unseren Gesichtern. Dann waren wir alle wieder stumm und dachten nach.

 

Vanillia fing nach einiger Zeit als Erste wieder an zu reden: »Ich - äh vielleicht musst du das Vamuraibuch mitnehmen in die Zwischenwelt!«

 

»Das kann nicht sein, sonst wäre die Verbindung zur Zwischenwelt nicht mehr möglich. Mit dem Buch könnte ich gar nicht in die Zwischenwelt gelangen.«

 

Gräfin Vamus überlegte: »Das glaub ich auch nicht, aber es muss mit etwas zusammenhängen, was schon geschehen ist. Frag doch das Buch, vielleicht wird es dir nochmal antworten.«

 

Ich versuchte es erneut mit freundlicher Taktik.

 

»Mein liebes Vamuraibuch, kannst du mir nicht doch nochmal einen Hinweis geben? Ich habe keine Zeit mehr. Chania ist bestimmt schon auf dem Weg in den nächsten Kontinent. Ich muss sie doch aufhalten.« Doch das Buch blieb still.

 

»Ich kann nicht länger warten, ich muss zurück zu Papa in die Zwischenwelt«, sagte ich bestimmt. »Ich bin bald wieder zurück, vielleicht gibt euch das Vamuraibuch an einem anderen Tag noch einen Hinweis auf den Schlüssel.«

 

Vanillia und die Gräfin verabschiedeten sich von mir und gingen aus dem Kaminzimmer.

 

»Ich möchte wieder in die Zwischenwelt - bring mich bitte in die Zwischenwelt liebes Vamuraibuch.«

 

Das Buch gehorchte. Es fing an zu zittern und erneut kam blauer Rauch heraus. Der Rauch verwandelte sich in einen immer stärker werdenden Strudel, der mich erfasste und an meinem Körper zog. Ich taumelte und wurde bewusstlos. Dann landete ich wie immer unsanft im weißen Zimmer. Chania war leider nicht mehr da. Sie war schon längst mit Hilfe des Dritten Tunnels in Afrika gelandet. Doch nachdem sie weg war, wusste ich natürlich nicht, welchen Tunnel sie genommen hatte.

 

»Vater, wo bist du«, rief ich ganz leise in Richtung der Monstertüre. Doch niemand antwortete.

 

Wo sind denn Papa und Opa? Ist ihnen etwas passiert?

 

Ich schlich mich in Richtung der Türe, vorbei am Herrscher und seiner Frau und schaute in den Gang hinein. Doch niemand war zu sehen. Beide waren irgendwie verschwunden. Wen sollte ich jetzt fragen, welchen Tunnel Chania genommen hatte? Hoffentlich war den beiden nichts passiert. Ich wusste nicht, dass mein Vater und der Kopf vom Herrscher der Zwischenwelt entdeckt worden waren.

 

 

 

Graf Vamus war etwas unvorsichtig geworden und hatte seinen Kopf durch die Türe gesteckt. Genau in diesem Augenblick sah ihn der Herrscher. »He, was machst du denn hier - dich kenne ich doch! Du bist doch der Lümmel, der mich damals schon vernichten wollte. Aber ich habe deinen Vater kalt gemacht. Du kannst mir nicht mehr gefährlich werden du elender Vampir«, rief der Herrscher der Zwischenwelt erzürnt.

 

Durch die zweite Feder war er wieder zu Kräften gelangt und schritt schnellen Schrittes zur Monstertüre. Er packte Graf Vamus und schleuderte ihn in den weißen Raum hinein. Dieser war so überrumpelt worden, dass er sich nicht wehren konnte. Vielleicht lag es auch daran, dass er schon etwas geschwächt war, weil er längere Zeit kein frisches Blut bekommen hatte. Auf alle Fälle wurde der Graf durch den weißen Raum bewusstlos. Der Herrscher der Zwischenwelt hingegen schien an Kraft gewonnen zu haben. Er packte den Grafen Vamus und nahm ihn gefangen. „Was mach ich nur mit diesem Kerl. Ich muss ihn irgendwo in der Gruft verstecken.“ Er schleppte ihn zurück, den weißen Gang entlang, bis er zu einer Gruft kam. Dort sperrte er ihn ein. Von dort aus, so hoffte der Herrscher, würde Graf Vamus nie mehr entkommen können. Durch diese Aktion sehr geschwächt, erreichte der Herrscher gerade noch den weißen Raum.

 

Der Kopf hatte alles aus seinem Versteck beobachten können. Der Graf hatte ihn zuvor noch in Sicherheit bringen können und hatte ihn auf einen Mauervorsprung geschmissen. Als der Herrscher danach wieder in den weißen Raum kam und seine Frau schlafend vor fand, überfiel ihn plötzlich wieder eine unglaubliche Schwäche und er sackte neben ihr nieder. Er wusste natürlich nicht, dass er mittlerweile den Raum nur durch die Federn etwas verlassen konnte. Die gewonnen Kräfte hielten allerdings nicht besonders lange an. Der Kopf fand das alles sehr merkwürdig.

 

Hat denn der Raum irgendetwas an sich, dass er dem Herrscher manchmal seine Kräfte nimmt? Hatte dort etwa der liebe Gott seine Finger im Spiel? Er hatte keine Ahnung was das bedeutete. Müde nickte er ein und versuchte im Schlaf eine Lösung zu finden.

 

 

 

Als ich jetzt zurück kam und den Herrscher und seine Frau schlafend vorfand, schlief Opa immer noch. Es war alles ruhig um mich herum – kein Vater, kein Opa - niemand der mir sagen konnte, welchen Gang Chania genommen hatte.

 

»Papa ich brauche dich, wo bist du nur?«, rief ich jetzt verzweifelt und starrte die fünf Gänge an. Welchen Gang sollte ich jetzt bloß nehmen?

 

Chania, wo bist du?“

 

Der Kopf kam wieder zu sich und hörte mich rufen.

 

»Maximus komm hierher, ich bin hier auf dem Mauervorsprung, genau vor dir. Hol mich raus, ich kann dir helfen!«

 

Rief da nicht doch jemand? Woher kam diese Stimme?

 

Ich verließ den weißen Raum und ging ein Stück in den weißen Tunnel hinein.

 

»Ganz hier oben bin ich Maximus, auf dem Mauervorsprung«, rief der Kopf nochmal. Und dann sah ich ihn. »Hallo Opa, bin ich froh dich zu sehen. Was machst du denn da? Wo ist denn Pa? Ich habe mir schon solche Sorgen gemacht. Was ist passiert?«

 

»Na weißt du, der Herrscher ist genau da wach geworden, als dein Vater zum Tor hinein geschaut hat um zu sehen, in welchen Tunnel Chania geht. Danach hat ihn der Herrscher überrumpelt und gefangen genommen. Ich weiß aber leider nicht wohin er ihn gebracht hat. Vorher hat mich dein Vater allerdings noch schnell auf den Mauervorsprung geschmissen, damit mich der böse Herrscher nicht findet. Dann wurde ich bewusstlos. Er hat mich Gott sei Dank nicht gesehen, sonst wäre alles verloren gewesen.«

 

»Ich muss sofort Papa suchen. So ein Mistkerl dieser böse Herrscher, das wird er mir büßen!«

 

Mit diesen Worten wollte ich mich schon verabschieden, um nach meinem Papa zu suchen.

 

»Warte doich Maximus! Chania ist schon eine Weile weg. Die Befreiung deines Vaters muss noch warten. Du musst zuerst versuchen, den dritten Kontinent zu beschützen und verhindern, dass weiteres Blut vergossen wird. Chania darf keine weitere Feder mehr in diesen Raum bringen.«

 

»Aber Pa braucht mich doch!«, versuchte ich verzweifelt dagegen zu halten. Ich saß zwischen zwei Stühlen. Einerseits wollte ich meinen Vater sofort retten, aber andererseits musste ich die Welt retten. Opa hatte wieder mal Recht.

 

»Na gut, ich werde Chania nachgehen. Kannst du mir vielleicht einen Gefallen tun?«, meinte ich betrübt.

 

»Aber natürlich mein Junge, was soll ich tun?«

 

»Ich bin nicht sofort zurückgekehrt, weil mich eine Stimme nach Hause rief. Sie hat mir gesagt, dass der Schlüssel zur Rettung der Welt bei mir zuhause im Schloss sei. Zuerst dachte ich, die Stimme meint das Vamuraibuch, aber das kann ja nicht sein. Ohne das geöffnete Vamuraibuch könnte ich ja nicht zwischen den Welten hin und her. Aber was könnte damit gemeint sein? Weißt du nicht eine Lösung?«

 

»Keine Ahnung, ich würde dir so gerne helfen mein Junge. Hast du nicht irgendeinen Hinweis für mich?«, fragte der Kopf nachdenklich.

 

»Doch, ich habe das Vamuraibuch gefragt und es hat folgendes geantwortet.«

 

 

 

»Du siehst es nicht, doch es ist so nah -

 

Hör in dein Herz schau was mal war.

 

Versuch mit deinem Herzen zu denken -

 

und deine Gedanken damit zu lenken.«

 

 

 

»Mhm das ist schwierig. Das Rätsel zu lösen wird nicht einfach werden. Aber ich werde mir Gedanken darüber machen, während du versuchst die Welt zu retten. Jetzt musst du aber gehen, sonst ist es zu spät.«

 

»Opa, welchen Tunnel soll ich nehmen? Hast du gesehen, welchen Chania genommen hat?«

 

»Nein mein Junge, aber du musst den Tunnel nehmen, wo das meiste blaue Licht herauskommt. Schnell beeile dich!«

 

Schnellen Schrittes ging ich mit einem verächtlichen Blick am Herrscher und seiner Frau vorbei und verschwand im Tunnel. Sobald ich diesen betreten hatte, wurde das blaue Licht zu einem heftigen blauen Rauch. Ich wurde umher geschleudert und verlor wieder mal das Bewusstsein.